Die Blechtrommel (44 page)

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Authors: Günter Grass

Tags: #Roman, #Klassiker

DIE OHNMACHT ZU FRAU GREFF TRAGEN

Ihn, Greff, mochte ich nicht. Er, Greff, mochte mich nicht. Ich habe auch später, als Greff mir die Trommelmaschine baute, Greff nicht gemocht. Selbst heute, da Oskar für solch anhaltende Antipathien kaum die Kraft aufbringt, mag ich Greff nicht besonders, auch wenn es ihn gar nicht mehr gibt.

Greff war Gemüsehändler. Doch lassen Sie sich nicht täuschen. Weder an Kartoffeln glaubte er noch an Wirsingkohl, besaß aber dennoch umfassende Kenntnisse im Gemüseanbau, gab sich gerne als Gärtner, Naturfreund, Vegetarier. Doch gerade weil Greff kein Fleisch aß, war er kein echter Gemüsehändler. Es war ihm unmöglich, von Feldfrüchten wie von Feldfrüchten zu sprechen.

»Betrachten Sie bitte diese außergewöhnliche Kartoffel«, hörte ich ihn oftmals zu seinen Kunden sagen. »Dieses schwellende, strotzende, immer wieder neue Formen erdenkende und dennoch so keusche Fruchtfleisch. Ich liebe die Kartoffel, weil sie zu mir spricht!« Natürlich darf ein echter Gemüsehändler niemals so sprechen und die Kundschaft in Verlegenheit bringen. Meine Großmutter Anna Koljaiczek, die ja zwischen Kartoffeläckern alt wurde, hat selbst während der besten Kartoffeljahre nie mehr über die Lippen gebracht als ein Sätzchen wie dieses: »Na dies Jahr sind de Bulven ahn beßchen greßer als vorjes Jahr.« Dabei waren Anna Koljaiczek und ihr Bruder Vinzent Bronski viel mehr auf die Kartoffelernte angewiesen als der GemüsehändlerGreff, dem ein gutes Pflaumenjahr ein schlechtes Kartoffeljahr wettzumachen pflegte.

Alles an Greff war übertrieben. Mußte er unbedingt eine grüne Schürze im Laden tragen? Welch eine Anmaßung, den spinatgrünen Latz der Kundschaft gegenüber lächelnd und weise tuend »Des lieben Gottes grüne Gärtnerschürze« zu nennen. Dazu kam, daß er die Pfadfinderei nicht lassen konnte. Zwar hatte er achtunddreißig schon seinen Verein auflösen müssen — den Bengels hatte man braune Hemden und die kleidsamen schwarzen Winteruniformen verpaßt — dennoch kamen die ehemaligen Pfadfinderiche in Zivil oder in neuer Uniform häufig und regelmäßig zu ihrem ehemaligen Oberpfadfinder, um mit jenem, der vor seiner, vom lieben Gott geliehenen Gärtnerschürze eine Gitarre zupfte, Morgenlieder, Abendlieder, Wanderlieder, Landsknechtlieder, Erntelieder, Marienlieder, inund ausländische Volkslieder zu singen. Da Greff noch rechtzeitig Mitglied des NSKK geworden war und sich ab einundvierzig nicht nur Gemüsehändler, sondern auch Luftschutzwart nannte, sich außerdem auf zwei ehemalige Pfadfinder berufen durfte, die es inzwischen im Jungvolk zu etwas gebracht hatten, Fähnleinführer und Stammführer waren, konnte man von der HJ-Gebietsleitung aus die Liederabende in Greffs Kartoffelkeller als erlaubt bezeichnen. Auch wurde Greff vom Gauschulungsleiter Löbsack aufgefordert, während Gebietsschulungskursen in der Gauschulungsburg Jenkau Liederabende zu veranstalten. Mit einem Volksschullehrer zusammen erhielt Greff Anfang Vierzig den Auftrag, für den Reichsgau Danzig - Westpreußen ein Jugendliederbuch unter dem Motto »Sing mit!« zusammenzustellen. Das Buch wurde sehr gut. Der Gemüsehändler erhielt einen Brief aus Berlin, der vom Reichsjugendführer signiert war, und wurde nach Berlin zu einem Singleitertreffen eingeladen.

Greff war also ein patenter Mann. Nicht nur, daß er von allen Liedern auch alle Strophen wußte; Zelte konnte er bauen, Lagerfeuer so entfachen und löschen, daß keine Waldbrände entstanden, er marschierte zielstrebig nach dem Kompaß, nannte alle sichtbaren Sterne beim Vornamen, schnurrte lustige und abenteuerliche Geschichten herunter, kannte die Sagen des Weichsellandes, hielt Heimabende unter dem Titel »Danzig und die Hanse«, zählte alle Hochmeister des Ritterordens mit den dazu gehörenden Daten auf, begnügte sich aber nicht damit, sondern wußte auch allerlei über die Sendung des Deutschtums im Ordensland zu berichten und flocht nur ganz selten ein markantes Pfadfindersprüchlein in seine Vorträge.

Greff liebte die Jugend. Er liebte die Knaben mehr als die Mädchen. Eigentlich liebte er die Mädchen überhaupt nicht, liebte nur die Knaben. Oftmals liebte er die Knaben mehr, als es sich durch das Absingen von Liedern ausdrücken ließ. Mag sein, daß ihn seine Frau, die Greffsche, eine Schlampe mit immer speckigem Büstenhalter und durchlöcherten Schlüpfern zwang, zwischen drahtigen und blitzsauberen Buben der Liebe reineres Maß zu suchen. Es konnte aber auch eine andere Wurzel jenes Baumes gegraben werden, an dessen Zweigen zu jeder Jahreszeit Frau Greffs dreckige Wäsche blühte.

Ich meine: die Greffsche verschlampte, weil der Gemüsehändler und Luftschutzwart nicht den rechten Blick für ihre unbekümmerte und etwas stupide Üppigkeit hatte.

Greff liebte das Straffe, das Muskulöse, das Abgehärtete. Wenn er Natur sagte, meinte er gleichzeitig Askese. Wenn er Askese sagte, meinte er eine besondere Art von Körperpflege. Greff verstand sich auf seinen Körper. Er pflegte ihn umständlich, setzte ihn der Hitze und besonders erfindungsreich der Kälte aus. Während Oskar Glas nah-und fernwirkend zersang, gelegentlich Eisblumen vor den Scheiben auftaute, Eiszapfen schmelzen und klirren ließ, war der Gemüsehändler ein Mann, der mit handlichem Werkzeug dem Eis zu Leibe rückte.

Greff schlug Löcher ins Eis. Im Dezember, Januar, Februar schlug er mit einem Beil Löcher ins Eis.

Das Fahrrad holte er früh, noch bei Dunkelheit aus dem Keller, wickelte das Eisbeil in einen Zwiebelsack, fuhr über Saspe nach Brösen, von Brösen auf der verschneiten Strandpromenade in Richtung Glettkau, stieg zwischen Brösen und Glettkau ab und schob, während es langsam heller wurde, das Fahrrad mit Beil im Zwiebelsack über den vereisten Strand, dann zwei-bis dreihundert Meter weit über die zugefrorene Ostsee. Küstennebel herrschte dort. Niemand hätte vom Strand aus sehen können, wie Greff das Fahrrad ablegte, das Beil aus dem Zwiebelsack wickelte, eine Weile still und andächtig stand, den Nebelhörnern der eingefrorenen Frachtdampfer auf der Reede zuhörte, dann die Joppe fallen ließ, ein bißchen turnte und schließlich kräftig und gleichmäßig zuschlagend begann, der Ostsee ein kreisrundes Loch zu hacken.

Eine gute Dreiviertelstunde brauchte Greff für sein Loch. Fragen Sie mich bitte nicht, woher ich das weiß. Oskar wußte damals so ziemlich alles. So wußte ich auch, wie lange Greff für sein Loch in der Eisdecke brauchte. Er schwitzte und sein Schweiß sprang von hoher buckliger Stirn salzig in den Schnee. Er machte das geschickt, trieb die Spur satt und kreisrund, ließ sie ihren Anfang finden und hob dann ohne Handschuhe die etwa zwanzig Zentimeter dicke Scholle aus der weiten und, wie man annehmen darf, bis Heia oder gar Schweden reichenden Eisfläche. Uralt und grau, mit gefrorener Grütze versetzt, stand das Wasser in dem Loch. Es dampfte ein wenig und war dennoch keine heiße Quelle. Das Loch zog die Fische an. Das heißt, man sagt Löchern im Eis nach, daß sie die Fische anziehen. Greff hätte jetzt Neunaugen oder einen zwanzigpfündigen Dorsch angeln können. Er angelte aber nicht, begann sich vielmehr auszuziehen, nackt auszuziehen; denn wenn Greff sich auszog, zog er sich nackt aus.Oskar will Ihnen keine winterlichen Schauer über den Rücken jagen. Kurz sei berichtet: der Gemüsehändler Greif nahm während der Wintermonate zweimal in der Woche ein Bad in der Ostsee. Mittwochs badete er alleine am frühesten Morgen. Um sechs fuhr er los, war um halb sieben da, hackte bis viertel nach sieben das Loch, riß sich mit raschen, übertriebenen Bewegungen die Kleider vom Leib, sprang in das Loch, nachdem er sich zuvor mit Schnee abgerieben hatte, schrie in dem Loch, singen hörte ich ihn manchmal: »Wildgänse rauschen durch die Nacht«, oder: »Wir lieben die Stürme...« sang er, badete, schrie zwei, höchstens drei Minuten lang, war mit einem Sprung schrecklich deutlich auf der Eisdecke: ein dampfendes krebsrotes Fleisch, das um das Loch herum hetzte, immer noch schrie, nachglühte, endlich zurück in die Kleider und aufs Fahrrad fand. Kurz vor acht war Greff wieder im Labesweg und öffnete pünktlich seinen Gemüseladen.

Das zweite Bad nahm Greff am Sonntag in Begleitung mehrerer Knaben. Oskar will das nie gesehen haben, hat es auch nicht gesehen. Das erzählten später die Leute. Der Musiker Meyn wußte Geschichten über den Gemüsehändler, trompetete die durchs ganze Quartier, und eine dieser Trompetergeschichten besagte: An jedem Sonntag während der strengsten Wintermonate badete der Greff in Begleitung mehrer Knaben. Doch selbst Meyn behauptete nicht, daß der Gemüsehändler die Knaben gezwungen habe, gleich ihm nackt in das Eisloch zu springen. Er soll schon zufrieden gewesen sein, wenn die als Halbnackedeis oder Fastnackedeis sehnig und zäh auf dem Eis rumtollten und sich gegenseitig mit Schnee abrieben. Ja, soviel Freude machten die Knaben im Schnee dem Greff, daß er vor oder nach seinem Bad oftmals mittollte, mithalf, den einen oder anderen Knaben abzureiben, auch der ganzen Horde erlaubte, ihn abzureiben; so will der Musiker Meyn von der Glettkauer Strandpromenade aus trotz des Küstennebels gesehen haben, wie der schrecklich nackte, singende, schreiende Greff zwei seiner nackten Zöglinge an sich riß, hob und nackt mit nackt beladen, ein schreiend entfesseltes Dreigespann über die dichte Eisdecke der Ostsee tobte.

Man kann sich denken, daß Greff kein Fischerssohn war, obgleich es in Brösen und Neufahrwasser viele Fischer gab, die Greff hießen. Greff, der Gemüsehändler, kam aus Tiegenhof, jedoch hatte Lina Greff, eine geborene Bartsch, ihren Mann in Praust kennengelernt. Er half dort einem jungen unternehmungslustigen Vikar bei der Betreuung des katholischen Gesellenvereins, und Lina ging des gleichen Vikars wegen jeden Sonnabend ins Gemeindehaus. Einem Foto nach, das die Greffsche mir geschenkt haben muß, denn es klebt heute noch in meinem Fotoalbum, war die zwanzigjährige Lina damals kräftig, rund, lustig, gutmütig, leichtsinnig, dumm. Ihr Vater hatte eine größere Gärtnerei in Sankt Albrecht. Sie heiratete als Zweiundzwanzig-jährige, wie sie später immer wieder beteuerte, vollkommen unerfahren, auf Anraten des Vikars hin, den Greff und machte mit dem Geld ihres Vaters den Gemüseladen in Langfuhr auf. Da sie einen großen Teil ihrer Waren, so fast alles Obst aus der väterlichen Gärtnerei billig bezogen, ging das Geschäft gut, fast von alleine, und Greff konnte nicht viel verderben.

Ja, hätte der Gemüsehändler nicht diesen kindischen Zug zur Bastelei gehabt, wäre es nicht schwer gewesen, aus dem Laden, der so günstig, fern aller Konkurrenz in dem kinderreichen Vorort lag, eine Goldgrube zu machen. Doch als zum dritten und vierten Male der Beamte vom Eichamt erschien und die Gemüsewaage kontrollierte, die Gewichte beschlagnahmte, auch die Waage sperrte und Greff mit kleineren und größeren Bußen .belegte, ging ein Teil der Stammkundschaft davon, kaufte auf dem Wochenmarkt ein, und es hieß: die Ware bei Greff ist zwar immer erste Qualität, gar nicht mal teuer, aber es geht dort wohl nicht reell zu; die Leute vom Eichamt waren schon wieder da.

Dabei bin ich sicher, Greff wollte nicht betrügen. War es doch so, daß die große Kartoffelwaage zu Greffs Ungunsten wog, nachdem der Gemüsehändler einige Änderungen vorgenommen hatte. So baute er kurz vor Kriegsanfang gerade jener Waage ein Glockenspiel ein, das je nach Gewicht der gewogenen Kartoffeln ein Liedchen hören ließ. Bei zwanzig Pfund Kartoffeln bekam die Kundschaft, als Zugabe sozusagen, »An der Saale hellem Strande« zu hören, fünfzig Pfund Kartoffeln lösten »Üb immer Treu und Redlichkeit« aus, ein Zentner Winterkartoffeln entlockte dem Glockenspiel die naiv betörenden Töne des Liedchens »Ännchen von Tharau«.

Wenn ich auch einsah, daß dem Eichamt diese musikalischen Scherze nicht gefallen konnten, Oskar selbst hatte einen Sinn für des Gemüsehändlers Marotten. Auch Lina Greff sah ihrem Gatten diese Absonderlichkeiten nach, weil, nun weil die Greffsche Ehe eben darin bestand, daß beide Ehepartner sich gegenseitig alle Absonderlichkeiten nachsahen. So kann man sagen, die Greffsche Ehe war eine gute Ehe. Der Gemüsehändler schlug seine Frau nicht, betrog sie niemals mit anderen Frauen, war weder ein Trinker noch ein Prasser, war vielmehr ein lustiger, solide gekleideter Mann, der nicht nur bei der Jugend, sondern auch bei jenem Teil der Kundschaft, der dem Händler mit den Kartoffeln die Musik abnahm, wegen seiner geselligen, hilfsbereiten Natur beliebt war.

So sah auch Greff ruhig und nachsichtig zu, wie seine Lina von Jahr zu Jahr zu einer immer übler riechenden Schlampe wurde. Lächeln sah ich ihn, wenn Leute, die es gut mit ihm meinten, die Schlampe beim Namen nannten. Seine eigenen, trotz der Kartoffeln gepflegten Hände anhauchend und reibend, hörte ich ihn manchmal zu Matzerath, der an der Greff sehen Anstoß nahm, sagen: »Natürlich hast du vollkommen recht, Alfred. Sie ist ein wenig nachlässig, die gute Lina. Aber du und ich, sind wir denn ohne Fehl?« Wenn Matzerath nicht locker ließ, beschloß Greff solche Diskussionen bestimmt und dennoch freundlich: »Du magst hier und da richtig sehen, dennoch hat sie ein gutes Herz. Ich kenne doch meine Lina.«

Es mag sein, daß er sie gekannt hat. Sie jedoch kannte ihn kaum. Genau wie die Nachbarn und Kunden hätte sie in den Beziehungen Greff s zu jenen Knaben und Jünglingen, die oft genug den Händler besuchten, nie etwas anderes sehen können als die Begeisterung junger Menschen für einen zwar laienhaften, aber passionierten Freund und Erzieher der Jugend.

Mich konnte Greff weder begeistern noch erziehen. Auch war Oskar nicht sein Typ. Hätte ich mich zum Wachstum entschließen können, wäre ich vielleicht zu seinem Typ geworden; denn mein Sohn Kurt, der jetzt etwa dreizehn Jahre zählt, verkörpert in all seiner knochigen Schlaksigkeit genau Greffs Typ, auch wenn er ganz nach Maria schlägt, von mir nur wenig hat und von Matzerath gar nichts.

Greff war mit Fritz Truczinski, der Heimaturlaub bekommen hatte, Trauzeuge jener Ehe, die zwischen Maria Truczinski und Alfred Matzerath geschlossen wurde. Da Maria genau wie ihr Gatte protestantischer Konfession war, ging man nur aufs Standesamt. Das war Mitte Dezember. Matzerath sagte in Parteiuniform sein Ja. Maria war im dritten Monat.

Je dicker meine Geliebte wurde, um so mehr steigerte sich Oskars Haß. Dabei hatte ich nichts gegen die Schwangerschaft einzuwenden. Nur daß die von mir gezeugte Frucht eines Tages den Namen Matzerath tragen sollte, nahm mir alle Freude an dem zu erwartenden Stammhalter. So unternahm ich, als Maria im fünften Monat war, freilich viel zu spät, den ersten Abtreibungsversuch. Das war um die Faschingszeit. Maria wollte an jener Messingstange über dem Ladentisch, an der Würste und Speck hingen, einige Papierschlangen, auch zwei Clownsmasken mit Knollennasen befestigen. Die Leiter, die sonst an den Regalen einen guten Halt hatte, stand wackelig gegen den Ladentisch gelehnt. Maria hoch oben, mit den Händen zwischen Papierschlangen, Oskar tief unten am Leiterfuß. Meine Trommelstöcke als Hebel benutzend, mit der Schulter und festestem Vorsatz nachhelfend, drückte ich den Tritt hoch, dann zur Seite: zwischen Papierschlangen und Clownsmasken schrie Maria leise und schreckhaft auf, schon schwankte die Leiter, Oskar sprang zur Seite . und dicht neben ihm kam Maria, buntes Papier, Wurst und Masken mitreißend, zu Fall.

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