Read Ahead of All Parting Online
Authors: Rainer Maria Rilke
*
Denn Das verstandest du: die vollen Früchte.
Die legtest du auf Schalen vor dich hin
und wogst mit Farben ihre Schwere auf.
Und so wie Früchte sahst du auch die Fraun
und sahst die Kinder so, von innen her
getrieben in die Formen ihres Daseins.
Und sahst dich selbst zuletzt wie eine Frucht,
nahmst dich heraus aus deinen Kleidern, trugst
dich vor den Spiegel, ließest dich hinein
bis auf dein Schauen; das blieb groß davor
und sagte nicht: das bin ich; nein: dies ist.
So ohne Neugier war zuletzt dein Schaun
und so besitzlos, von so wahrer Armut,
daß es dich selbst nicht mehr begehrte: heilig.
So will ich dich behalten, wie du dich
hinstelltest in den Spiegel, tief hinein
und fort von allem. Warum kommst du anders?
Was widerrufst du dich? Was willst du mir
einreden, daß in jenen Bernsteinkugeln
um deinen Hals noch etwas Schwere war
von jener Schwere, wie sie nie im Jenseits
beruhigter Bilder ist; was zeigst du mir
in deiner Haltung eine böse Ahnung;
was heißt dich die Konturen deines Leibes
auslegen wie die Linien einer Hand,
daß ich sie nicht mehr sehn kann ohne Schicksal?
Komm her ins Kerzenlicht. Ich bin nicht bang,
die Toten anzuschauen. Wenn sie kommen,
so haben sie ein Recht, in unserm Blick
sich aufzuhalten, wie die andern Dinge.
Komm her; wir wollen eine Weile still sein.
Sieh diese Rose an auf meinem Schreibtisch;
ist nicht das Licht um sie genau so zaghaft
wie über dir: sie dürfte auch nicht hier sein.
Im Garten draußen, unvermischt mit mir,
hätte sie bleiben müssen oder hingehn,—
nun währt sie so: was ist ihr mein Bewußtsein?
*
For that is what you understood: ripe fruits.
You set them before the canvas, in white bowls,
and weighed out each one’s heaviness with your colors.
Women too, you saw, were fruits; and children, molded
from inside, into the shapes of their existence.
And at last, you saw yourself as a fruit, you stepped
out of your clothes and brought your naked body
before the mirror, you let yourself inside
down to your gaze; which stayed in front, immense,
and didn’t say: I am that; no: this is.
So free of curiosity your gaze
had become, so unpossessive, of such true
poverty, it had no desire even
for you yourself; it wanted nothing: holy.
And that is how I have cherished you—deep inside
the mirror, where you put yourself, far away
from all the world. Why have you come like this
and so denied yourself? Why do you want
to make me think that in the amber beads
you wore in your self-portrait, there was still
a kind of heaviness that can’t exist
in the serene heaven of paintings? Why do you show me
an evil omen in the way you stand?
What makes you read the contours of your body
like the lines engraved inside a palm, so that
I cannot see them now except as fate?
Come into the candlelight. I’m not afraid
to look the dead in the face. When they return,
they have a right, as much as other Things do,
to pause and refresh themselves within our vision.
Come; and we will be silent for a while.
Look at this rose on the corner of my desk:
isn’t the light around it just as timid
as the light on you? It too should not be here,
it should have bloomed or faded in the garden,
outside, never involved with me. But now
it lives on in its small porcelain vase:
what meaning does it find in my awareness?
*
Erschrick nicht, wenn ich jetzt begreife, ach,
da steigt es in mir auf: ich kann nicht anders,
ich muß begreifen, und wenn ich dran stürbe.
Begreifen, daß du hier bist. Ich begreife.
Ganz wie ein Blinder rings ein Ding begreift,
fühl ich dein Los und weiß ihm keinen Namen.
Laß uns zusammen klagen, daß dich einer
aus deinem Spiegel nahm. Kannst du noch weinen?
Du kannst nicht. Deiner Tränen Kraft und Andrang
hast du verwandelt in dein reifes Anschaun
und warst dabei, jeglichen Saft in dir
so umzusetzen in ein starkes Dasein,
das steigt und kreist, im Gleichgewicht und blindlings.
Da riß ein Zufall dich, dein letzter Zufall
riß dich zurück aus deinem fernsten Fortschritt
in eine Welt zurück, wo Säfte
wollen.
Riß dich nicht ganz; riß nur ein Stück zuerst,
doch als um dieses Stück von Tag zu Tag
die Wirklichkeit so zunahm, daß es schwer ward,
da brauchtest du dich ganz: da gingst du hin
und brachst in Brocken dich aus dem Gesetz
mühsam heraus, weil du dich brauchtest. Da
trugst du dich ab und grubst aus deines Herzens
nachtwarmem Erdreich die noch grünen Samen,
daraus dein Tod aufkeimen sollte: deiner,
dein eigner Tod zu deinem eignen Leben.
Und aßest sie, die Körner deines Todes,
wie alle andern, aßest seine Körner,
und hattest Nachgeschmack in dir von Süße,
die du nicht meintest, hattest süße Lippen,
du: die schon innen in den Sinnen süß war.
O laß uns klagen. Weißt du, wie dein Blut
aus einem Kreisen ohnegleichen zögernd
und ungern wiederkam, da du es abriefst?
Wie es verwirrt des Leibes kleinen Kreislauf
noch einmal aufnahm; wie es voller Mißtraun
und Staunen eintrat in den Mutterkuchen
und von dem weiten Rückweg plötzlich müd war.
*
Don’t be frightened if I understand it now;
it’s rising in me, ah, I’m trying to grasp it,
must
grasp it, even if I die of it. Must grasp
that you are here. As a blind man grasps an object,
I feel your fate, although I cannot name it.
Let us lament together that someone pulled you
out of your mirror’s depths. Can you still cry?
No: I see you can’t. You turned your tears’
strength and pressure into your ripe gaze,
and were transforming every fluid inside you
into a strong reality, which would rise
and circulate, in equilibrium, blindly.
Then, for the last time, chance came in and tore you
back, from the last step forward on your path,
into a world where bodies have their will.
Not all at once: tore just a shred at first;
but when, around this shred, day after day,
the objective world expanded, swelled, grew heavy—
you needed your whole self; and so you went
and broke yourself, out of its grip, in pieces,
painfully, because your need was great.
Then from the night-warm soilbed of your heart
you dug the seeds, still green, from which your death
would sprout: your own, your perfect death, the one
that was your whole life’s perfect consummation.
And swallowed down the kernels of your death,
like all the other ones, swallowed them, and were
startled to find an aftertaste of sweetness
you hadn’t planned on, a sweetness on your lips, you
who inside your senses were so sweet already.
Ah let us lament. Do you know how hesitantly,
how reluctantly your blood, when you called it back,
returned from its incomparable circuit?
How confused it was to take up once again
the body’s narrow circulation; how,
full of mistrust and astonishment, it came
flowing into the placenta and suddenly
was exhausted by the long journey home.
*
Du triebst es an, du stießest es nach vorn,
du zerrtest es zur Feuerstelle, wie
man eine Herde Tiere zerrt zum Opfer;
und wolltest noch, es sollte dabei froh sein.
Und du erzwangst es schließlich: es war froh
und lief herbei und gab sich hin. Dir schien,
weil du gewohnt warst an die andern Maße,
es wäre nur für eine Weile; aber
nun warst du in der Zeit, und Zeit ist lang.
Und Zeit geht hin, und Zeit nimmt zu, and Zeit
ist wie ein Rückfall einer langen Krankheit.
Wie war dein Leben kurz, wenn du’s vergleichst
mit jenen Stunden, da du saßest und
die vielen Kräfte deiner vielen Zukunft
schweigend herabbogst zu dem neuen Kindkeim,
der wieder Schicksal war. O wehe Arbeit.
O Arbeit über alle Kraft. Du tatest
sie Tag für Tag, du schlepptest dich zu ihr
und zogst den schönen Einschlag aus dem Webstuhl
und brauchtest alle deine Fäden anders.
Und endlich hattest du noch Mut zum Fest.
Denn da’s getan war, wolltest du belohnt sein,
wie Kinder, wenn sie bittersüßen Tee
getrunken haben, der vielleicht gesund macht.
So lohntest du dich: denn von jedem andern
warst du zu weit, auch jetzt noch; keiner hätte
ausdenken können, welcher Lohn dir wohltut.
Du wußtest es. Du saßest auf im Kindbett,
und vor dir stand ein Spiegel, der dir alles
ganz wiedergab. Nun war das alles
Du
und ganz
davor
, und drinnen war nur Täuschung,
die schöne Täuschung jeder Frau, die gern
Schmuck umnimmt und das Haar kämmt und verändert.
So starbst du, wie die Frauen früher starben,
altmodisch starbst du in dem warmen Hause
den Tod der Wöchnerinnen, welche wieder
sich schließen wollen und es nicht mehr können,
weil jenes Dunkel, das sie mitgebaren,
noch einmal wiederkommt und drängt und eintritt.
*
You drove it on, you pushed it forward, you dragged it
up to the hearth, as one would drag a terrified
animal to the sacrificial altar;
and wanted it, after all that, to be happy.
Finally, you forced it: it was happy,
it ran up and surrendered. And you thought,
because you had grown used to other measures,
that this would be for just a little while.
But now you were in time, and time is long.
And time goes on, and time grows large, and time
is like a relapse after a long illness.
How short your life seems, if you now compare it
with those empty hours you passed in silence, bending
the abundant strengths of your abundant future
out of their course, into the new child-seed
that once again was fate. A painful task:
a task beyond all strength. But you performed it
day after day, you dragged yourself in front of it;
you pulled the lovely weft out of the loom
and wove your threads into a different pattern.
And still had courage enough for celebration.
When it was done, you wished to be rewarded,
like children when they have swallowed down the draught
of bittersweet tea that perhaps will make them well.
So you chose your own reward, being still so far
removed from people, even then, that no one
could have imagined what reward would please you.
But you yourself knew. You sat up in your childbed
and in front of you was a mirror, which gave back
everything. And this everything was you,
and right in front; inside was mere deception,
the sweet deception of every woman who smiles
as she puts her jewelry on and combs her hair.
And so you died as women used to die,
at home, in your own warm bedroom, the old-fashioned
death of women in labor, who try to close
themselves again but can’t, because that ancient
darkness which they have also given birth to
returns for them, thrusts its way in, and enters.
*
Ob man nicht dennoch hätte Klagefrauen
auftreiben müssen? Weiber, welche weinen
für Geld, und die man so bezahlen kann,
daß sie die Nacht durch heulen, wenn es still wird.
Gebräuche her! wir haben nicht genug
Gebräuche. Alles geht und wird verredet.
So mußt du kommen, tot, und hier mit mir
Klagen nachholen. Hörst du, daß ich klage?
Ich möchte meine Stimme wie ein Tuch
hinwerfen über deines Todes Scherben
und zerrn an ihr, bis sie in Fetzen geht,
und alles, was ich sage, müßte so
zerlumpt in dieser Stimme gehn und frieren;
blieb es beim Klagen. Doch jetzt klag ich an:
den Einen nicht, der dich aus dir zurückzog,
(ich find ihn nicht heraus, er ist wie alle)
doch alle klag ich in ihm an: den Mann.
Wenn irgendwo ein Kindgewesensein
tief in mir aufsteigt, das ich noch nicht kenne,
vielleicht das reinste Kindsein meiner Kindheit:
ich wills nicht wissen. Einen Engel will
ich daraus bilden ohne hinzusehn
und will ihn werfen in die erste Reihe
schreiender Engel, welche Gott erinnern.
Denn dieses Leiden dauert schon zu lang,
und keiner kanns; es ist zu schwer für uns,
das wirre Leiden von der falschen Liebe,
die, bauend auf Verjährung wie Gewohnheit,
ein Recht sich nennt und wuchert aus dem Unrecht.
Wo ist ein Mann, der Recht hat auf Besitz?
Wer kann besitzen, was sich selbst nicht hält,
was sich von Zeit zu Zeit nur selig auffangt
und wieder hinwirft wie ein Kind den Ball.
Sowenig wie der Feldherr eine Nike
festhalten kann am Vorderbug des Schiffes,
wenn das geheime Leichtsein ihrer Gottheit
sie plötzlich weghebt in den hellen Meerwind:
so wenig kann einer von uns die Frau