Hard Man (11 page)

Read Hard Man Online

Authors: Allan Guthrie

Egal, die Polizei würde jedenfalls niemanden finden, denn es war Wallace gewesen, und der war der Einzige, nach dem sie nicht suchen würden. Wer hatte sonst noch eine Kanone und war so krank im Kopf, dass er jemandem in die Kniescheiben schoss? Ein Scheißeinbrecher etwa? Ein dreifach Hoch den Jungs in Blau. Tatsache war, dass Wallace auf eine Gelegenheit gewartet hatte, und als sie kam, hatte er sie beim Schopf gepackt. Der Wichser lachte sich jetzt garantiert die Eier ab und überlegte sich schon seinen nächsten Schritt.

 

Sie kamen etwas zu früh am Krankenhaus an. Dad wollte reingehen und Rog besuchen, anstatt draußen auf May und Norrie zu warten, wie sie es abgemacht hatten, und Flash sagte, er würde im Auto bleiben, denn seinen
hermano
in so einem üblen Zustand zu sehen würde ihn zu sehr aufregen, aber Dad überredete ihn mitzugehen, denn Rog würde sich noch mehr aufregen, wenn Flash nicht dabei war, als Flash sich aufregen würde, wenn er mitkam.

Flash war sich nicht sicher, ob Dad recht hatte, denn allein Flash zu sehen genügte, um bei Rog das Wasserwerk in Gang zu setzen und davon hatte doch niemand was, oder? Sein großer Bruder hatte schon fünf Operationen hinter sich und war mit Morphium und Gott weiß was noch vollgepumpt - eine Schwester war gerade mit einem Schlauch und einer Spritze zugange -, und es sollten noch mehr Operationen und Medikamente kommen, jede Menge, und die Ärzte konnten den bleibenden Schaden immer noch nicht voraussagen, obwohl sie voraussagten, dass er bleiben würde. Irgendwie.

Flash griff nach Rogs Hand, und er dachte, dass er früher mal die Tatsache, dass Dad und Rog beide die Nase bandagiert hatten, total lustig gefunden hätte, aber jetzt kam es ihm überhaupt nicht mehr lustig vor. Als die Schwester mit ihrem Gerödel fertig war, folgte Flash ihr aus dem Zimmer und stellte ihr die Frage, die keiner der Ärzte beantworten wollte. »Wird er wieder gehen können?«

»Ich bin kein Arzt«, sagte sie.

»Ich weiß«, sagte Flash. »Deshalb frage ich Sie ja grade.«

Sie legte die Hand an die Stirn, und schaute Flash abschätzend an, schließlich sagte sie: »Es ist möglich, dass er vielleicht wieder ein bisschen herumgehen kann, langsam, mit zwei Stöcken nach langer, langer Zeit, vorausgesetzt, die Muskeln sind nicht zu stark geschädigt.«

Nun ja, Rogs Kniescheiben waren für alle Zeiten kaputt. Man durfte gar nicht dran denken. Flash stellte sich vor, von einem Hammer auf die Kniescheibe getroffen zu werden. Dann stellte er sich vor, so hart getroffen zu werden, dass der Knochen brach. Dann stellte er sich vor, so hart getroffen zu werden, dass die Patella (das Wort würde er nicht mehr vergessen, es klang spanisch) so stark zertrümmert wurde, dass der Chirurg Dutzende von Knochensplittern aus dem Gewebe ringsum herauspfriemeln musste.

»Aber einen Marathon wird er nicht mehr gewinnen«, sagte die Schwester.

Wenn sie ein Mann gewesen wäre, hätte Flash ihr dafür eine verpasst.

Sie verschwand, bevor Flash es sich mit der Geschlechterfrage anders überlegen konnte, und er ging zurück in Rogs Zimmer, wo er Norrie gerade sagen hörte: »Wollen wir los?«

Flash wäre lieber geblieben, jetzt wo Rog trockene, wenn auch nicht strahlende Augen hatte, und hätte sich zu Rog gesetzt und eine Weile mit ihm geplaudert, ihm gesagt, dass alles gut werden würde, dass er Herr der Lage war. Aber May wäre dann wieder um ein Stück schutzloser, wenn Flash nicht bei ihr war - mit Rog im Krankenhaus hatte sie bereits einen ihrer Beschützer verloren. Obwohl Flash annahm, dass Wallace, wenn er denn etwas plante, es genauso machen würde wie bei Rog und an einem ruhigen Plätzchen zuschlagen würde, wenn sie es am wenigsten erwarteten. Außerdem ging er fest davon aus, dass Wallace sich über das, was Rog zugestoßen war, noch so freute, dass er die Aufmerksamkeit nicht davon ablenken mochte. Auf jeden Fall würde Flash nicht wieder zurückbleiben, denn am Abend zuvor war Rog nicht nach Reden gewesen, hatte gesagt, es würde ihm wehtun. Zuerst hatte Flash nicht kapiert, wieso, denn Rogs Nase war zwar ziemlich zermanscht, sein Mund war allerdings in Ordnung - bis auf die Naht, doch die war direkt über der Lippe, und die Wunde schien wieder geheilt zu sein, nachdem Wallace sie sich noch mal vorgenommen hatte. Aber dann wurde Flash klar, dass es ihm seelisch wehtat und dass er keine körperlichen Schmerzen beim Sprechen an sich spürte, dass jedoch der reine Vorgang, die Lippen zu bewegen, Worte zu bilden, zu entscheiden, was er sagen wollte - dass all das ihn schmerzte, denn es erinnerte ihn an das, was passiert war, erinnerte ihn an den anderen Schmerz, den Schmerz, angeschossen zu werden, und den Schmerz, wenn sie ihm seine zerschmetterten Beine wieder zusammenflickten.

Flash hatte daher nicht die Absicht, ihn daran zu erinnern, schließlich gab es auch noch andere Dinge, auf die Flash sich nun konzentrieren musste. »Genau«, sagte er. »Wir sollten gehen.«

Rog wirkte erleichtert.

Je schneller Flash seinen Plan umsetzte, desto besser. Draußen packte er Norrie am Arm und flüsterte: »Wir müssen reden.«

 

Norrie war immer noch auf Urlaub von der Fabrik und hatte deshalb angeboten, während eines Teils seiner Freizeit Pearce zu beschatten, damit Flash und Dad ihrem Bodyguardjob bei May nachgehen konnten, die über das, was Rog zugestoßen war, ziemlich ausgerastet war. Flash hatte Norrie gebeten, etwas über den Tagesablauf von Pearce in Erfahrung zu bringen, was er an den folgenden zwei Tagen gemacht hatte. Komischer Kerl, dieser Pearce, wie es schien. Hatte keinerlei gefühlsmäßige Bindungen, ein ziemlicher Einzelgänger, niemand kam ihn besuchen. Eigentlich war es fast so, als würde er keine Menschenseele kennen. Flash wusste, dass Pearce Telefon hatte, denn er hatte ihn angerufen, doch er fragte sich, wieso überhaupt, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass Pearce mit irgend]’emandem sprach, jedenfalls nicht um sich zu unterhalten. Vielleicht hatte er ja wirklich ein paar Freunde, aber selbst dann war er nicht von der redseligen Sorte, knurrte vermutlich grade mal Hallo und Auf Wiedersehen und legte auf. Wahrscheinlich waren seine Freunde sowieso Typen, die er im Knast kennengelernt hatte. Er hatte keinen Job, hatte nur diesen bescheuerten dreibeinigen Köter, mit dem er, laut Norrie, regelmäßig zum Strand Gassi ging.

Das war gut so. Flash hatte eine ziemlich genaue Vorstellung, wie er die Sache durchziehen würde.

Am dritten Tag wechselte Flash mit Norrie ab, was eine Erleichterung war, denn sosehr Flash ihm auch vertraute, wusste er doch, dass man sich auf Norrie wegen des Unfalls nicht hundertpro verlassen konnte. Manchmal driftete er ab, wenn man mit ihm sprach, und dann wusste man, dass er irgendwo anders war.

Wie dem auch sei, anscheinend hatte Pearce seinen üblichen Ablauf geändert. Er war weggegangen, in die Bibliothek. Gott weiß, was er da zu suchen hatte, denn natürlich hatte Flash ihm nicht nach drinnen folgen können, denn er wollte nicht, dass Pearce ihn bemerkte, oder? Flash setzte sich auf eine Bank um die Ecke, von der aus er den Eingang der Bibliothek im Auge behalten konnte. Das Problem war, dass die Bank auf der anderen Straßenseite stand, nicht weit vom Polizeirevier, und Flash fühlte sich wie auf dem Präsentierteller. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu versuchen, nicht nach den Uniformen zu sehen, die im Revier, ein und aus gingen. Er versuchte stattdessen
guapas
zu sichten.

Er entdeckte sofort eine, aber das war eine
guapa
in Polizeiuniform, also zählte sie nicht. Danach entdeckte er noch ein paar, viel mehr, als er gedacht hatte. Es war noch warm, obwohl die Luft jetzt viel kühler war als noch am Morgen, das spürte man, und bei warmem Wetter kamen sie immer raus, obwohl er sich den Reiz, den Polizistinnen auf ihn ausübten, nicht so recht erklären konnte, und das war beunruhigend. Hätte nie gedacht, dass er eine Bullette attraktiv finden würde, jedenfalls nicht in Uniform mit diesen klobigen Schuhen und dem doofen Hut. Etwas anderes wäre es, wenn sie nacktärschig gewesen wäre, nur mit einer kugelsicheren Weste bekleidet und vielleicht mit ein paar von den Utensilien, denn die hatten so was SM-mäßiges, Handschellen und Gummiknüppel und so, tja, dafür hätte er garantiert Verwendung gehabt.

Er schaute wieder zur Bibliothek, sah den Hund immer noch angeleint, keine Spur von Pearce.

Die Bank schwankte unter ihm, und als er sich umdrehte, sah er eine dicke Frau, die keuchend ihre vier Buchstaben in eine bequeme Position wackelte. Instinktiv rückte er beiseite, obwohl sie jede Menge Platz hatte. Sie holte eine Packung Kippen raus und bot ihm eine an, und als er Nein sagte, steckte sie sich eine an und teilte ihm mit, sie heiße Virginia, aber ihr Mann habe sie immer Vagina genannt, und er heiße Franz, und er solle mal raten, wie sie ihn nannte.

Flash sagte nichts, und sie fragte ihn noch mal, und da sagte er ihr, sie solle den Mund halten, und sie sagte Okay und fragte ihn nach seinem Namen, und er sagte ihn ihr, und sie sagte Okay, aber wie er wirklich hieße, und da wurde es ihm zu dumm, und er stand auf.

Sie sagte noch etwas zu ihm, doch er kriegte es nicht mit, denn Pearce kam mit einem Stapel Bücher unter dem Arm aus der Bibliothek, bückte sich und leinte den Köter vom Geländer ab. Er blickte hoch und runzelte die Stirn, während er in Richtung der Bank schaute, von der Flash gerade aufgestanden war.

Flash drehte sich um. Er fand, dass er ein bisschen zu auffällig hier herumstand, wie ein richtiger Idiot, wusste, dass er sich hinsetzen sollte, um mit dem Rücken zu Pearce sein Gespräch mit Vagina wieder aufzunehmen, aber das brachte er nicht fertig. Er wusste, was er machen würde, und auch ziemlich genau, wann, und so betete er zu Gott, dass Pearce ihn nicht gesehen hatte, vergrub die Hände in den Hosentaschen und machte sich auf den Weg. Er spürte Pearces Blick im Rücken. Scheiße. Hatte der Wichser ihn gesehen? Flash ging immer schneller, und als er an der Kreuzung angekommen war, war er in einen Dauerlauf verfallen.

 

Flash joggte langsam in Richtung Strand, wo er gute fünf Minuten lang Ausschau hielt, ohne jedoch eine Spur von Pearce zu sehen. Pearce war ihm also nicht gefolgt, hatte ihn höchstwahrscheinlich gar nicht gesehen. Flash entdeckte eine Eisdiele, holte sich zwei Kugeln und setzte sich auf die Kaimauer, zog sein Handy aus der Tasche und rief Dad an.

Früher oder später mussten sie handeln, denn jeder Tag, an dem sie nichts unternahmen, war ein Tag, an dem Wallace seine Drohung wahr machen konnte, auch wenn es unwahrscheinlich war, dass der Drecksack so schnell etwas tun würde, nachdem er Rog zum Krüppel geschossen hatte, aber trotzdem. Bei Wallace wusste man nie. Egal, Flash wusste, was er tun würde, und dazu brauchte er nicht die Ratschläge seines Alten, eigentlich, aber manchmal war eine Rückmeldung ganz gut, nur um sich bestätigen zu lassen, dass man das Richtige machte. Dad nahm ab und stimmte aus vollem Herzen zu. Es ging los.

Natürlich hätte Flash die Sache auch gern mit Rog besprochen, aber Rog durfte von alldem nichts wissen, es regte ihn zu sehr auf, und selbst wenn Rog gern in den Plan eingeweiht gewesen wäre, durfte Flash nichts sagen, was, egal wie man es betrachtete, jammerschade war, denn, na ja, Rog konnte ein bisschen Aufmunterung gebrauchen, und das wäre es garantiert gewesen. Die Geschichte mit Rog brachte ihn total durcheinander. Krankenhäuser machten einen schon depressiv, wenn man kerngesund war, so ähnlich wie Kirchen, falls man sich vorstellen kann, wochenlang in einer Kirche eingesperrt zu sein, mit der ganzen trübsinnigen Musik, die da durch die Lautsprecher plärrt. Egal, selbst wenn man nur zu Besuch war, waren Krankenhäuser schon verdammt düstere Orte, und wer weiß, wie man sich fühlte, wenn einem die Knie zu Brei geschossen waren, und je mehr man drüber nachdachte, desto weniger verwunderlich war es, dass Rog nicht mehr gelächelt hatte, seit Wallace ihn angeschossen hatte, und kein bisschen verwunderlich war es, dass es Rog wehtat, zu sprechen, oder?

Flash leckte lange und kräftig an seinem Eis. Da er Pearce bei der Bibliothek nur um Haaresbreite entwischt war und es sich nicht leisten konnte, noch einmal gesehen zu werden, gab es für ihn im Moment nichts, als sich vorzubereiten, sich die paar Sachen zu besorgen, die er brauchte, das Gelände nach einem guten Versteck abzusuchen und heute Abend seinen Coup zu landen.

Genau. Heute Abend musste es laufen, eindeutig, und als Bonus fing der Nebel an hereinzurollen, denn bis gut nach zehn würde es nicht richtig dunkel werden.

Zieh es durch.

Flash wusste, dass der Plan Pearce wahrscheinlich nicht dazu bewegen würde, May mitzubeschützen, aber er hoffte, er würde dazu führen, dass Pearce scharf drauf war, Wallace die Scheiße aus dem Leib zu prügeln, und das war ein zweiter Preis, den Flash mehr als freudig entgegennahm.

So viel mehr als freudig, dass er fast sein Eis fallen ließ.

 

Ein kalter Hauch streifte Pearces Wange. Er musste lächeln. Er konnte den Nebel im Mund schmecken. Und mit ihm diesmal eine dringend nötige Abkühlung. Wenn die Temperatur zurückging, war Schottland viel mehr, wie es eigentlich sein sollte. Wenn man Hitze wollte, würde man an sonnigere Gestade ziehen. Dann würde man nicht in Schottland bleiben. Es sei denn, man war so ein Arschloch, das sich einfach nur gern beschwerte.

»Ist wohl Schluss mit dem schönen Wetter, hm?«

So wie der Typ, der da auf ihn zugestakst kam und mit Mühe eine verrückte Promenadenmischung - ein Kopf wie ein Bullterrier und ein Körper wie eine dänische Dogge - an einer kurzen Leine zu bändigen versuchte. Der Hund hatte Stummelbeine und einen Schwanz, der aussah, als könnte er einem mit einem einzigen Wedeln sauber den Kopf abtrennen. Sein Mund stand offen, und seine Zunge schleifte praktisch über den Sand.

Sein Besitzer war der einzige andere Mensch am Strand, jedenfalls soweit Pearce sehen konnte. Sehr weit war das allerdings nicht. Der Nebel war ziemlich dicht.

»Wenn’s Ihnen nicht gefällt, dann verpissen Sie sich doch und ziehen woandershin«, sagte Pearce.

Der blöde Wichser glotzte ihn an, erwog vielleicht, Streit anzufangen. Entschied sich aber dagegen. Nicht mutig genug, nicht mal mit dem hässlichen Hund als Verstärkung, und nachdem er einmal zu dem Schluss gekommen war, dass heute nicht der Abend für spontane Gewaltakte war, ließ er sich anscheinend nur allzu gern im Laufschritt von seinem Hund wegziehen.

Nach allem, was er über Beschwerden übers Wetter gesagt hatte, hatte Pearce selbst eine massive Beschwerde. Dieses Jahr war echt schlimm. Er hielt nicht viel Hitze aus. Selbst im Winter lief er ohne Jacke, oft sogar ohne Pullover herum. Er fror nicht wie andere Menschen. Die Hitze hatte ihm in letzter Zeit einige schlaflose Nächte bereitet. Gestern Nacht hatte er es nur mit einem einzigen Laken versucht, sonst nichts, aber sogar das hatte er nach einer Weile abschütteln müssen. Und nackt im Bett zu liegen brachte einen dem Schlaf auch nicht näher, nicht wenn er von Zeit zu Zeit von Hilda besucht wurde, der sich aus dem Gästezimmer hereinschlich. Das Letzte, was Pearce wollte, war, aufzuwachen, weil Hilda ihm die Eier leckte. Um Himmels willen.

Other books

The Fold: A Novel by Peter Clines
Younger Daughter by Brenna Lyons
The Counterfeit Count by Jo Ann Ferguson
The Fashion Princess by Janey Louise Jones
The Heart of War by Lisa Beth Darling
The Cocktail Club by Pat Tucker