Hard Man (21 page)

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Authors: Allan Guthrie

 

Wallace fuhr sich mit den Fingern über die Brust, bevor er den Rand des letzten Wachsstreifens herunterpellte.
Aaah!

Die meisten Leute dachten unweigerlich, er hätte einen Sprung in der Schüssel. Wallace wusste das, und es scherte ihn nicht. Ehrlich gesagt gefiel es ihm. Viele harte Burschen hatten einen Sprung in der Schüssel. Es war immer gut für den Ruf, wenn einen die Leute für irre hielten. Er trug eine Brille, und da harte Männer keine Brillen trugen, musste er sich doppelt anstrengen, um seinen Ruf zu wahren. Und außerdem, Ruf hin oder her, hatte er Gründe für das, was er tat. Gründe, die außerhalb des Begriffsvermögens des Normalverstandes lagen. Okay, das war unfair. Der Normalverstand konnte die Gründe sehr wohl begreifen, aber es bedurfte einer speziellen Sorte Mensch, um sie auch verstehen zu können, und einer noch spezielleren, um sie nachzuvollziehen. Er hatte gedacht, May hätte sie verstanden. Er hatte gedacht, bei ihnen hätte es geklickt. Seelenverwandte. Den ganzen Scheiß.

Egal, an allem war nur May schuld. Mit diesem armseligen Wichser zu vögeln, den er gerade gekreuzigt hatte. Und dann auch noch schwanger zu werden mit dem Kleinen von dem Arschloch. Herrgott noch mal! Wallace wollte gar nicht drüber nachdenken, denn es machte ihn nur wütend, und er wollte nicht so wütend werden, dass er sie umbrachte, bevor sie Gelegenheit hatte, zu sehen, was er mit ihrem Schatz angestellt hatte. Und Pearce. Was sollte Wallace nur mit dem machen? Er hatte keine andere Wahl, als ihn ebenfalls zu beseitigen. Konnte ihn ja wohl jetzt kaum noch freilassen. Also ging der auch auf Mays Konto, im Großen und Ganzen. Er hoffte nur, das Miststück war stolz auf sich.

In der Gewissheit, gut auszusehen, warf Wallace den Wachsstreifen in den Müll. Schon klar, er sah wie durch die Mangel gedreht aus. Pearce hatte ein paar glückliche Treffer gelandet, aber wenn überhaupt, dann machten ihn die blauen Flecken nur noch attraktiver. Er fragte sich, ob er May anrufen sollte. Nur um rauszufinden, wo sie war. Ihre total bekloppte Familie würde sie ja nicht aus den Augen lassen.

Wallace fing an, sich das Hemd zuzuknöpfen. Hielt inne. Musterte die keilförmige weiße Stelle auf seinem Bauch. So groß, dass es sich um ein Muttermal handeln musste. War es aber nicht. Das, Leute, war eine Narbe. Und auf die war er mächtig stolz. Damit hatte er einem Freund etwas bewiesen.

Hatte sich dreißig Sekunden lang ein glühend heißes Bügeleisen drauf gehalten, ohne mit der Wimper zu zucken.

Nur dass da jetzt keine Haare mehr wuchsen, sodass er die Umgebung mit Wachs behandeln musste, und da machte er seine Brust immer gleich mit. Genau, ‘n Spritzer Aftershave und dann los, um May zu holen.

 

Jacob kam vom Klo zurück. Als er über die Schwelle zur Küche trat, sah er lebhaft das Bild von Rog vor sich, der vor Qual schrie. Nein, ein Bild war es eigentlich nicht. Es war dunkel gewesen in dieser Nacht, als er den Schrei gehört hatte, und sein visuelles Gedächtnis zeigte ihm den verschwommenen Umriss einer Gestalt, doch so war es nicht gewesen. Er sah Rog nicht so sehr, als dass er ihn hörte. Den Schrei. Ohrenbetäubend. Erschreckend. Bis ins Schlafzimmer. Aber vielleicht waren es ja auch die Schüsse. Was auch immer, es war schmerzhaft laut gewesen. Die Kombination. Jetzt konnte er es wieder hören. Oder war das am Ende das Geräusch des Blutes, das in sein Trommelfell rauschte? Jacob hatte das Gefühl, etwas würde seine Trommelfelle mit einer winzigen Käsereibe raspeln. Ihm wurde ganz schwummrig.

Man musste es ihm ansehen, denn Norrie fragte ihn: »Alles okay, Boss?«

Kalter Schweiß jetzt auf dem Rücken. Klamme Stirn. Von dem abgestandenen Geruch der
scones
vom Vortag wurde ihm plötzlich übel. Ihm war, als hätte er gleich ein Dutzend davon verdrückt und nun stünde ihm bevor, ein weiteres Dutzend essen zu müssen. Oder was? Hä? Was hatte er sich grade gefragt - was war - der Lärm der einzelnen Schüsse übertönte Rogs Schreie, da, und noch mal, da, und er wartete auf den nächsten Schuss, der dieses infernalische Gebrüll ein für alle Mal abschnitt, einen letzten Schuss in den Kopf, und da war er, und Rog war still. Tja, und so hatte Jacob ihn dann gefunden.

Hatte das Küchenlicht angeknipst, und da lag sein Sohn, bewusstlos in einer Blutlache. Aber Jacob konnte ihn immer noch hören, diesen Schrei, der aus ihm heraussprudelte.

Natürlich war dieser letzte Schuss nie gefallen.

»Hör auf damit!«, sagte Jacob. »Hör auf.«

Aber Rog hörte nicht zu. Oder vielleicht konnte er ihn nicht hören wegen des Krachs, den er machte.

»Hör auf.«

Nein, so war es nicht gewesen. Rog hatte das Bewusstsein verloren. Die Schmerzen. Seine Schreie. Keine großen Schmerzen.
Lügner.
Okay. Riesenschmerzen. Genug um … aber jedenfalls nicht lange. Er hatte das Bewusstsein verloren. Er hatte das Bewusstsein verloren. Er hatte verloren. Er hatte. Verloren. Verloren. Oh Gott.

»Hast du ‘n Dreher, Jacob?«, fragte Norrie.

»Ich hab«, sagte Jacob. Er musste kämpfen, um die Worte aus dem Mund zu bekommen, »keinen Dreher.« Was immer ein Dreher auch war. »Mir geht’s gut.« Schon leichter gesagt. Und Rogs Schreie waren schwächer. »Muss mich nur mal ‘ne Minute hinsetzen.« Genau. Konnte Rog jetzt nicht mehr schreien hören. Er war weg. Umgekippt.

Rog war im Krankenhaus, um Himmels willen. Sicher im Krankenhaus. Und Flash war gerade hingegangen, um ihn zu besuchen. Seine Jungs waren sicher.

Wo war May?

Jacob ließ sich schwer am Tisch nieder.

Norrie musterte Jacob und sagte: »Bist du sicher, dass es dir gut geht?«

Jacob atmete durch die Nase. Einmal. Zweimal. »Mach dir um mich keine Sorgen.« Herzanfall. Konnte den Gedanken nicht unterdrücken. Je älter man wurde, desto anfälliger wurde man dafür, und desto mehr war man sich seiner Anfälligkeit bewusst. Und eine Panikattacke hatte er schon gehabt. Aber Schmerzen hatte er keine. Nicht in der Brust. Nicht im Arm. Er war okay. Heute würde er nicht sterben.

Er konnte sehen, wie Norrie die Stirn runzelte und dann sagte: »Du bist richtig blass. Ist dir schon mal so schlecht gewesen?«

Jacob erhob die Stimme, oder wenigstens versuchte er es, aber es kam nicht so laut heraus, wie er es gewollt hatte. »Hör auf, dir Sorgen um mich zu machen.« Kaum mehr als ein Flüstern. Er streckte die Hand nach seinen Kippen aus.

»Was hast du gesagt?«

Jacob versuchte, erneut zu sprechen, aber es war zu anstrengend. Er schüttelte stattdessen den Kopf, zündete sich eine Zigarette an.

»Du solltest dich hinlegen. Und vor allem solltest du jetzt nicht rauchen.«

»Mir geht’s gut.« Und wenn man’s recht bedachte, ging es ihm auch beinah wirklich gut. Rasch ein Zug an der Lulle, und es ging ihm noch besser. Hörte keinen Ton mehr von Rog. Nur ein Dröhnen in den Ohren. Keine Schüsse. Keine Schreie. Das Schwindelgefühl ließ nach. »Ich brauch mich nicht hinzulegen. Wahrscheinlich nur zu heiß. Ist warm hier drinnen.« Das Dröhnen ebbte zu einem angenehmen Murmeln ab. Wahrscheinlich musste er nur mal eine rauchen.

Norrie stand auf und öffnete das Fenster. »Ich halt mal ‘nen Lappen unters kalte Wasser.«

Norries Handy fing an zu klingeln. Ein hipper Klingelton. Norrie hielt gern mit der Jugend mit, aber an Jacob ging das alles vorbei. Norrie steckte die Hand in die Tasche, holte sein Mobiltelefon heraus und sagte: »Hi, May.«

May? Wo war sie? Sie sollte doch nicht außer Sichtweite sein. Jacob fragte Norrie.

»Auf ihrem Zimmer«, sagte Norrie.

Jacob kam nicht mehr mit der Jugend heutzutage mit. May rief Norrie von ihrem Zimmer aus an. War wohl zu viel verlangt, dass sie in die Küche kam.

»Okay«, sagte Norrie und legte auf. Er schaute Jacob an. »Sie hat das mit Wallace rausgekriegt. Flash hat’s ihr erzählt.«

Deshalb hatte Flash es so eilig gehabt, rauszukommen. Etwas Hartes setzte sich in Jacobs Kehle fest. Er wollte nicht, dass May da reingezogen wurde. Andererseits war sie vielleicht sicherer jetzt, wo sie wusste, dass sie in Gefahr schwebte. »Schätze, das musste irgendwann mal passieren«, sagte Jacob. »Wie hat sie’s aufgenommen?«

»Sie meint, Wallace war so gut wie tot.«

Eine Weile saßen sie schweigend zusammen. Dann sagte Norrie: »Von Pearce also kein Wort?«

Jacob schüttelte den Kopf. »Flash hat ihn angerufen. Sein Handy ist ausgeschaltet. Hat’s bei ihm zu Hause versucht. Anrufbeantworter. Irgendwas ist passiert. Flash hat Wallace auf der Arbeit angerufen, um mit ihm zu reden. Er war nicht da. Hat’s bei ihm zu Hause versucht, und er hat abgenommen.«

Bei der Wiedergabe von Flashs Bemühungen wurde alles klar: Irgendwie hatte Wallace Pearce ausgeschaltet.

»Meinst du, dass Wallace ihn umgebracht hat?«

»So wie ich Wallace kenne«, sagte Jacob, »ist das ohne Weiteres möglich.«

Eine leichte Brise kitzelte Wallace im Nacken, als er bei den Baxters vor der Tür stand und sich fragte, ob er anklopfen oder die Tür direkt eintreten sollte. Spielte das eine Rolle? Die Bande von Schwachköpfen würde so oder so nicht merken, wie ihr geschah.

Er wusste nicht sicher, wer drinnen war, aber er rechnete mit May, ihrem Dad (Wallaces Scheißschwiegervater), vielleicht dem verblödeten alten Arschloch Norrie, mit dem er sich immer rumtrieb, und wahrscheinlich Flash.

Wallace holte tief Luft, spürte den Revolver, der sich ihm in die Wirbelsäule drückte.

Okay, er hatte sich entschieden. Er würde anklopfen. Wenn er die Tür einschlug, würde ein neugieriger Nachbar vielleicht die Polizei rufen. Und wer da drinnen auch sein mochte, würde nicht wissen, dass er es war. Er hatte den Wagen in einer Parklücke ein paar Häuser weiter abgestellt, was sich noch als vorteilhaft erweisen konnte.

Er hatte gute Lust, die Tür trotzdem einzutreten. Sie hatten keine Klingel. Und er hasste Wichser, die keine Klingel hatten. Wie schwer war es wohl, sich eine anbringen zu lassen. Idioten. Er nahm den Revolver aus dem Gürtel und klopfte mit dem Knauf an die Tür.

Eine Ewigkeit später machte der Freund des Alten, Norrie, auf, und Wallace grinste ihn an und zeigte ihm die Kanone.

»Geh rein, Opa«, sagte Wallace.

Der alte Knabe tat wie geheißen, und Wallace folgte ihm nach drinnen. Wallace schloss die Tür. Eine Stimme aus der Küche fragte: »Wer ist’s?« Hörte sich nach Jacob an.

»Sag ihm, zwei Zeugen Jehovas«, flüsterte Wallace. »Und dass sie gleich wieder weg sind.«

Norrie gab die Nachricht weiter.

Wallace flüsterte weiter: »Wo ist May?«

»In der Küche«, gab Norrie mit gesenkter Stimme zurück.

Wallace musterte ihn. »Wenn du mich anlügst, verpass ich dir ‘n Loch in den Schädel.« Wallace streckte die Hand aus und drückte dem alten Knaben die Mündung zwischen die Augenbrauen. »Genau hier. Spürst du’s?«

Schweiß rollte über Norries Wange. »Sie ist in ihrem Zimmer«, wisperte er.

Gott, war der erbärmlich. Wallace hatte gute Lust, den alten Furz an Ort und Stelle abzuknallen. Beschissener Schwachkopf. Offenbar hatten er und Jacob in der Fabrik Scheiß gemacht und gewettet, wer mit Teig gefüllte Paletten am höchsten stapeln konnte, und dabei war Norrie auf dem feuchten Boden ausgerutscht und hatte sich den Kopf an einem riesigen Mixer angeschlagen. Sich selber ausgeknockt. War seitdem nie mehr der Alte gewesen. Wallace würde ihn so oder so beseitigen müssen, aber solange die Möglichkeit bestand, dass er May aus dem Haus schaffen konnte, ohne dass jemand es merkte, wollte er es versuchen. Es würde alles sehr vereinfachen. Und er war sich sicher, dass May nicht ohne Gegenwehr mitkommen würde. Aber das war ja Teil des Spaßes.

»Wer ist in der Küche«, fragte er Norrie.

»Nur Jacob.«

»Und wo ist Flash?«

»Im Krankenhaus.« Norrie bedachte ihn mit seiner Version des bösen Blicks. Wallace hätte fast losgeprustet. »Rog besuchen«, fuhr Norrie fort.

Wallace beruhigte sich wieder. »Sag Jacob, dass du aufs Klo gehst.«

Norrie rief durch den Flur. Baxter rief etwas zurück. »Du gehst vor, Opa.«

»Und wenn ich nicht will?«

»Dann mach ich dich kalt.«

»Bringen Sie mich nicht sowieso um?«

»Nur wenn du nicht aufhörst, Fragen zu stellen.«

Der debile Sack hielt den Mund, und Wallace dirigierte ihn zu Mays altem Zimmer.

»Und was jetzt?«, fragte Norrie, als sie vor der geschlossenen Tür standen.

»Mach auf.«

Norrie drückte die Klinke und hielt auf halbem Weg inne. »Ich kann doch da nicht einfach reingehen«, sagte er. »Vielleicht hat sie nichts an.«

Oh Mann. »Klopf an. Sag ihr, du willst mit ihr sprechen.«

Norrie klopfte. »May, kann ich mit dir reden?«, fragte er.

»Sag ihr, es geht um Wallace«, flüsterte Wallace. »Es geht um Wallace.«

Sie hörten, wie May in ihrem Zimmer rumorte, und kurz darauf öffnete sich die Tür. Und ab da fing alles an, schiefzugehen.

 

Lehnte
gekippt
das Kreuz an die
also vielleicht, wenn er wackelte
Wand aus Eierkartons
würde es umfallen.
Wackelte
aber
allerdings
das würde
nicht
wehtun.
Blutige Handflächen, blutige
er hatte kein Seil um die
Füße
Handgelenke geschlungen.

Augen
mit Blick auf Pearce sowieso
geschlossen.

Schmerzen jagen durch ihn
Drogen jagen durch ihn
wie Drogen
wie Schmerzen.

Pearces Blicke
hin und her
schossen durch den Raum
wo war eigentlich seine Dornenkrone? - da haste was vergessen, Arschloch.

Jesus lebte
strengte sich an, rauszukommen
in sich drinnen, riss ein
wie aus einem Horrorfilm
Loch.

Er hielt’s nicht mehr aus
und deshalb schrie er
noch mehr Schmerzen
und Pearce sagte: >Psst! Versuch einfach, dich zu entspannen.<

Jesus hob die
und noch mal
Augenlider, aber sie knallten herunter. Und noch mal. Ohrenbetäubender Krach,
entspannen?
keine Schmerzen.

Wallace schwebte
aber er war doch weg
neben ihm. >Knock dich aus.<
Leck mich.

Jesus wickelte die Zunge
und drückte
um Wallaces Hals.

Wallace schüttelte
>Macht das Spaß da drinnen? Da drinnen in deinem Gehirn?<
den Kopf.

Dachte, er hätte sich die Zunge abgebissen. Versuchte zu sprechen. Versuchte zu rufen. Ohne
Drecksau, Drecksau, Drecksau
zu wissen, zu wem er sprach oder rief oder zu welchem Zweck oder
verfickte Scheiße
ob er seinen Verstand unter Kontrolle hatte, denn das war nicht er da drinnen, und er konnte nicht
konnte sie nicht geschlossen halten
die Augen aufmachen, denn da gab es
und ich
zu viele
an ‘nem
Informationen
Kreuz.

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