Hard Man (25 page)

Read Hard Man Online

Authors: Allan Guthrie

Flash liebäugelte mit der Idee, die Polizei anzurufen, wusste aber, was man über Wallace sagen würde: >Wieso lässt Ihre Familie den armen Mann eigentlich nicht in Frieden, Mr. Baxter?< Jetzt war es allerdings etwas anderes, oder? Da lag eine Leiche bei Dad zu Hause. Vielleicht sollte er sie doch anrufen. Aber Dad hätte sie selbst angerufen, wenn er gewollt hätte, und vielleicht sollte Flash sich da raushalten und sich nur darauf konzentrieren, May zu finden, und dann vielleicht, wenn er sie aufgespürt hatte, konnte er sich mit der Polizei in Verbindung setzen und Bescheid sagen, wo sie war.

Das war doch mal ‘ne Idee, und daher war Flash schon auf halbem Weg zu Wallace, als May ihn anrief. Sie war außer sich, schrie ihn an, sagte, er müsse ihr helfen, sie hätte Dirk benutzt, sie hätte Wallace umgebracht.

Nachdem Flash draufgekommen war, dass es sich bei Dirk um das Messer handelte, das er ihr gekauft hatte, waren seine unmittelbaren Gefühle gemischt. Irgendwo unter dem Schock vergraben empfand er Stolz darauf, dass May endlich getan hatte, was sonst niemand geschafft hatte - weder Rog noch er selbst noch Dad noch Norrie noch Pearce -, und die Drecksau kaltgemacht hatte, aber da waren auch Schuldgefühle, dass er sie mit dem nötigen Mittel dazu versorgt hatte. Denn ihr Leben würde nie mehr das gleiche sein. »Bleib, wo du bist«, befahl ihr Flash. »Ich bin gleich bei dir.«

»Ich will nicht hierbleiben«, sagte May. Ihre Stimme brach. »Ich hab Angst.«

»Nun, dann treffen wir uns irgendwo in der Nähe.«

Leise: »Okay.«

»Gut. Also, wo bist du?«

»Ich weiß nicht, Flash. Ich bin noch nie hier gewesen.«

Scheiße. Flash wusste, dass er sofort die Polizei anrufen sollte, aber er konnte sich einfach nicht dazu überwinden, denn er konnte seine kleine Schwester ja nicht der Gnade dieser Wichser ausliefern. »Wie sieht’s denn aus?«

»Wie sieht was aus?«

»Wo du bist. Beschreibe.«

»Weiß nicht«, sagte May. »‘n Kirchhof. Mit Bäumen und Büschen. Eine Zufahrt. Und jede Menge Gräber. Auf beiden Seiten.«

Mist. Solche Kirchen gab es dutzendweise in Edinburgh. Das war nicht gut.

»Vielleicht sollten wir ‘nen Krankenwagen rufen«, sagte May.

Und Flash hörte sich sagen: »Die Sanis würden auch nicht wissen, wo du bist, May. Das war zwecklos.«

»Aber vielleicht könnten die mich ja finden.«

 

Die linke Seite von Jacobs Gesicht war nass. Im Flur drunten hörte er Norrie aufschreien. Ein erstickter Aufschrei. Immer noch Lebenswille in dem ollen Bastard.

Jacob dachte daran, sich vom Boden aufzurappeln und noch mal zu wählen, glaubte aber nicht, dass er es schaffte. Der Schmerz, der in seiner linken Seite nach unten ausstrahlte, war zu heftig. So heftig, dass er den Schmerz in seinem Auge gar nicht mehr spürte. Wenn er Druck auf seine linke Seite ausübte, hatte er das Gefühl, sein Herz würde platzen. Er lag platt auf der Erde, wusste, dass er nicht besonders gut atmete. Etwas flach. Er hob den Kopf, das ging ganz gut. Jetzt wollte er nur noch die Hand über die Brust heben. Doch es gelang ihm nicht, sie in Position zu bringen. Es war sowieso dumm, was er wollte, aber er wusste, dass es wichtig für ihn war. Die Geste wäre ihm ein seltsamer Trost gewesen.

Er atmete durch die Nase, so gut es durch den Verband ging. Wenigstens dachte er, er würde es tun. Aber in Wirklichkeit atmete er nicht durch die Nase. Er atmete auch nicht durch den Mund. Und seine Sehkraft ließ nach. Nicht rot. Nicht blutverschmiert. Nein, sie schrumpfte zusammen, wurde schwarz an den Rändern.

Er wollte nicht so gehen, ohne zu wissen, was mit May geschehen würde. I Aber er schien nicht viel daran ändern zu können.

 

!

»Wenn die Sanis dich finden können«, sagte Flash zu May, »dann kann ich’s auch.«

»Und dann?«

Gute Frage.

»Flash, ich glaub wirklich, ich hab ihn umgebracht.« Jetzt deutete sie also an, dass es keinen Zweifel daran gab. »Atmet er noch?«

»Bleib dran.« Pause. Dann schrie sie. »May? May? Sag was. Was ist los?«

»Er hat nach mir gegrapscht.«

Oh Scheiße, bloß das nicht. Das durfte nicht sein. Das Einzige, was noch gefährlicher war als Wallace, war ein verletzter Wallace. »Mach, dass du wegkommst. Lauf! Los!«

»Schon gut. Alles klar. Er hat losgelassen. Ich glaub, er ist jetzt tot. So richtig.«

»May, du musst da weg. Wenn er noch lebt, ist er gefährlich. Mach jetzt, dass du wegkommst.«

»Ich kann nicht.«

»Natürlich kannst du. Geh einfach los. Such ein Straßenschild. Sag mir, wo du bist, dann hol ich dich ab.«

»Ich kann nicht.«

»Mach schon, May. Du kannst nicht wissen, ob er tot ist. Du musst da weg. Ein Fuß vor den andern. Ein Schritt und dann noch einer. Komm schon.«

»Ich kann Schnuckelchen nicht hierlassen.«

Der Scheißköter von Pearce. Gequirlte Kacke! »Was hat das Mistvieh da zu suchen?«

»Hör auf zu fluchen.«

»Tut mir leid, May. Was ist mit dem Hund?«

»Da war so ein Typ, der hat Schnuckelchen überfahren.« Ihre Stimme war schmerzhaft laut. Flash musste das Handy vom Ohr weghalten. »Wallace hat gesagt, er würde den Hund zum Tierarzt bringen.«

Wie käme Wallace dazu? Er war nicht gerade bekannt für sein weiches Herz, vor allem nicht wenn es um die Baxters ging. Flash musste Ruhe bewahren, und er musste May ruhig halten. »May, du musst für mich zur nächsten Straße gehen und mir sagen, wo du bist.«

»Ich kann nicht.«

»Mach es, May. Mach, was ich dir sage.«

»Flash, bitte.«

»Jetzt sag nicht, dass du’s nicht kannst, verdammte Kacke! Mach’s einfach!« Verdammt. Er hatte schon wieder geflucht. Reiß dich am Riemen, verflucht,
amigo.

»Flash, ich hab überall Blut an mir.«

»Dein eigenes?«

»Ein Teil kommt von Schnuckelchen. Ein Teil von Wallace.«

»Auch von dir, May?«

»Nein.«

Das hieß, sie war nicht verletzt, Gott sei Dank. Er hätte sie als Erstes danach fragen sollen. Mann Gottes, was für ein Bruder war er? »Steig aus dem Auto aus. Geh ein paar Meter, bis du mir sagen kannst, wo du bist. Dann kannst du bei dem Hund am Auto warten, bis ich da bin.«

»Meinst du nicht, wir sollten ‘nen Krankenwagen rufen?«

»Find zuerst mal raus, wo du bist«, sagte Flash. »Dann entscheiden wir. Und jetzt beweg dich. Und red weiter mit mir.«

»Die Leute werden mich mit dem Blut überall sehen. Dann rennen sie schreiend weg. Die Polizei kommt. Ich wird verhaftet. Ich wird …«

»Langsam, May. Es wird nicht so schlimm, wie du denkst.«

»Doch, Flash. Ich kann mich so nicht blicken lassen. Die flippen aus. Ich wird eingesperrt.« Flash dachte einen Moment lang nach. »Flash? Bist du noch da? Geh nicht weg.«

»Kannst du das Blut abwischen?«

»Wo? Mit was?«

Mann. Flash schloss die Augen und hoffte, ruhig bleiben zu können, denn innerlich kochte er. Woher sollte er wissen, wo May sich sauber machen konnte.

»Und ich kann Schnuckelchen nicht alleinlassen«, sagte sie wieder.

Was Flash auf eine Idee brachte. »Wenn du den Hund mitnimmst«, sagte er, »dann denken alle, die das Blut sehen, es käme von dem Hund.«

»Ich darf ihn nicht bewegen.«

Scheiße, Scheiße, Scheiße! »May, du musst.«

»Flash, hilf mir!«

Herr im Himmel! Was sollte er bloß tun?

 

KISS KISS, BANG BANG

 

May war eine ganze Weile hysterisch gewesen, und Flash hatte keinen vernünftigen Satz aus ihr rausbringen können. Da er noch immer nicht wusste, wo sie war, saß er einfach am Steuer und fuhr langsam ziellos durch die Gegend.

Vor lauter Scheißfrust umklammerte Flash sein Mobiltelefon mit der Hand und sagte: »Sag was, May.«

»Ich muss hier raus.«

Toll. Eine Reaktion. »Genau. Bleib einfach dran. Ich bin gleich bei dir.«

»Ich muss hier raus.«

»Ich weiß.« Scheiße, Scheiße, Scheiße! Er wollte sie nicht noch mal verlieren. Jetzt redete sie mit ihm. Er musste sie am Reden halten. »Bleib ruhig, May. Bitte.« Sie wollte da raus. Gut. Aber würde sie den Hund alleinlassen?

»Ich muss hier raus.«

Ja, ja, Geduld. »Ein Fuß vor den andern. Na los, du kannst es.«

»Oh Gott, oh Gott.«

»Was ist? May? Red mit mir. Was ist los?«

»Oh Gott. Er hat sich wieder bewegt, Flash.« Oh Gott, oh Gott. »Lauf weg!«

»Ich kann nicht.«

»Verdammte Scheiße, May. Hau ab!«

»Ich muss ihn umbringen«, sagte May. »Tu’s nicht. Bitte, tu das nicht.«

»Er ist nicht tot, Flash.«

»Ich weiß, aber du kannst nicht einfach hingehen und ihn kaltmachen.«

»Aber er sollte tot sein.«

»Das weiß ich, aber …« Scheiße.

»Ich hab ihn schon mal umgebracht. Ich kann’s noch mal machen.«

Mann. Was sollte er ihr bloß sagen, verflucht? »Warte im Auto auf mich. Kriegst du das hin? Setz dich ins Auto. Verriegel die Türen.«

»Dirk.«

»Du hast es noch?«

»Er hat’s in der Hand.«

»Denk nicht dran, May. Du musst mir helfen, dich zu finden.«

»Es tut mir leid«, sagte May.

»Ist schon gut«, sagte Flash. »Red weiter. Bitte. Gib mir ‘nen Hinweis, wo du bist.«

»Ich kann mir Dirk holen. Wallace hat wieder aufgehört, sich zu bewegen. Er hat nur gezuckt.«

»Nein.«

»Ich hol mir das Messer. Ich bring ihn um.«

Er musste sie davon abbringen. Sie musste da raus. Das Letzte, was sie tun durfte, war, das Messer wieder an sich zu nehmen. Es hörte sich an, als sei Wallace noch am Leben. Was gut für May war, wenn Flash sie da rausholen konnte. »May, hör mir zu.
Hör zu1.
Hörst du? May?«

»Hmm.«

»Sieh nach, wies dem Hund geht.«

»Hä?«

»Schnuckelchen braucht deine Hilfe. Er hat Angst.«

»Wirklich?«

»Na klar. Mach schon. Schnell.« Pause. »Und?«

»Was ist mit Dirk?«

»Den kannst du später holen.«

»Ich glaub sowieso nicht, dass ich ihn im Augenblick will.«

»Das ist schon okay.«

»Flash, muss ich ins Gefängnis?«

»Mach dir darüber keine Sorgen.«

»Er hat versucht… Es war nicht meine Schuld.«

»Ich weiß. Du musst auch nicht ins Gefängnis. Ich verspreche.«

»Aber sie werden das Messer finden und mir die Schuld geben. Ganz egal, ob Norrie ihn angeschossen hat.«

»Norrie hat ihn angeschossen?«

»In den Arm.«

Norrie war nicht untätig gewesen. Und wo hatte er die Knarre her? Egal.

»Und es war auch Norrie, der auf Rog geschossen hat.«

Scheiße. Vielleicht hatte Dad ja doch nicht gesponnen.

»Aber jetzt ist er tot. Wallace hat ihn umgelegt.«

Das wusste Flash. Das war kein so tolles Gesprächsthema. Es regte sie eindeutig auf.

Und dann war da noch die Sache mit dem Messer. »Sie werden Dirk finden, Flash«, wiederholte sie.

»Sie wissen nicht, wem das Messer gehört.«

»Aber sie können’s zurückverfolgen.«

»Mach dir darüber keinen Kopf.«

»Fingerabdrücke.«

»May, das klären wir, wenn ich da bin. Jetzt hilf mir einfach, dich zu finden. Bitte. An welche Stelle erinnerst du dich als letzte?«

»Weiß nicht.«

»Denk nach. Wo wolltet ihr hin, als ihr losgefahren seid?«

»Angeblich zum Tierarzt.«

»Zu welchem Tierarzt?«

»Wir mussten anhalten und jemanden fragen.«

Und wäre Wallace in diese Richtung gefahren, wenn er überhaupt nicht die Absicht hatte, das Ziel zu erreichen? Flash konnte es nur hoffen. Er schloss die Augen. »Und was hat der gesagt?«

»Ich … Slateford, glaub ich.«

Lagerhäuser und alte Brauereien. Und, ja, Kirchen. »Okay, dann find ich dich.«

»Schnuckelchen atmet noch«, sagte May. »Was soll ich jetzt machen? Ich will ihn nicht im Auto alleinlassen.«

Mann, war das schwer. »Dann bleib drin sitzen.«

»Okay.«

»Toll. Verriegel die Türen.«

»Bleib dran. Okay.«

»Das machst du gut.«

»Flash?«

»Ja?«

»Ich hab mich nass gemacht.«

»Das macht nichts, Kleines. Ist schon in Ordnung.«

Ihre Zähne klapperten. »Flash?«

»Ja?«

»Wallace hat immer noch seine Kanone.«

 

Die Melodie fing an zu spielen, ‘n funkiger Drumbeat. Scheißgetrommel. Machte Pearce stinksauer. »Aufhören!«, sagte er.

Zum Scheißglück hatte wenigstens das Geschrei aufgehört. Jesus waren die Worte in den Kopf geploppt und direkt aus dem Mund gekommen, ohne irgendwelchen Sinn. Pearce konnte nichts dagegen machen. Musste daliegen und zuhören. Egal was er versuchte, der verrückte Wichser hielt einfach nicht das Maul.

»Flutschen mir in den Mund. Kommen aus meinem Kopf.« Das war die einzige zusammenhängende Antwort auf alles, was Pearce in letzter Zeit gesagt hatte.

Jesus’ Hirn war nicht bereit, mitzuspielen. Noch nicht. Vielleicht überhaupt nie mehr. Es war gegrillt.

Genug von Jesus. Pearce wusste, wenn er hierblieb, musste er sterben. Wenn er sich nicht selbst befreite, hieß das. Er war in einer total irrwitzigen Lage, an eine Bank geschnallt, mit Jesus, der über ihm an einem Kreuz hing. Pearce musste einen klaren Kopf behalten, denn da lauerte irgendwo eine Panik, die nur darauf wartete, sich einzuschleichen und das Kommando zu übernehmen. Er musste vorsichtig sein, durfte die Beherrschung nicht verlieren, durfte nicht zulassen, dass es so weit kam.

Dass das Licht an war, half ihm dabei. Im Dunkeln, wie vorhin, war es, als hätte er die Fähigkeit verloren, rational zu denken. Da gab es zu viel um ihn herum, zu viel Unheimliches, Unbekanntes. Natürlich wusste er, dass da außer ihm nur Jesus war, aber hier lag er, nicht dass er sich vor der Dunkelheit wirklich gefürchtet hätte, doch es fiel ihm zunehmend schwerer, irgendwo einen Ausweg zu sehen. Selbst wenn Wallace vorgehabt hatte, ihn laufen zu lassen, jetzt war Pearce Zeuge einer Kreuzigung. Wallace konnte ihn gar nicht laufen lassen. Die einzige Frage war, wie Wallace ihn loswerden wollte. Noch ein Kreuz, oder würde Pearce Glück haben und eine Kugel in den Schädel bekommen?

Während Jesus sich still verhielt und nur gelegentlich stöhnte, ging Pearce seine Möglichkeiten durch. Sie waren … gleich null. Es gab absolut scheißgarnichts, was er machen konnte. Nahezu jedes Szenario, das er durchspielte, war schlechterdings, fast schmerzhaft, unmöglich. Er hatte es durchdacht, egal wie lächerlich es erschien, und erkannt, dass es nicht in seiner Macht lag. Er konnte überhaupt nichts tun. Die Fesseln waren zu stark. An ihnen zu zerren führte nur dazu, dass seine Arme wehtaten und dass der Schmerz in seiner Seite aufflammte.

Other books

Devil's Game by Patricia Hall
Blackjack Villain by Ben Bequer
Fall from Grace by Charles Benoit
The Borribles by Michael de Larrabeiti
Falling Into You by Abrams, Lauren
Forever in Your Embrace by Kathleen E. Woodiwiss
Forged by Bart D. Ehrman
Found by Tatum O'neal
Safe From the Fire by Lily Rede