Hard Man (26 page)

Read Hard Man Online

Authors: Allan Guthrie

Er hatte sein Schicksal nicht mehr in der Hand.

Er war so gut wie tot. Er konnte sich schon tot sehen. Wenn er die Augen schloss, war er tot. Wenn er sie aufschlug, war er tot. Wenn er durch Schlitze guckte, immer noch tot.

Er musste sich daran erinnern, dass er nicht tot war. Noch nicht. Das war alles nur in seinem Kopf. Auch wenn er jetzt wusste, wie es war, tot zu sein. Und so übel war das anscheinend gar nicht. Ein gewisser Trost wenigstens, was Mum betraf. Trotzdem war es ein Zustand, den er wenn möglich lieber vermieden hätte. Die Frage war also, wie?

Na los. Er konnte sich etwas ausdenken, wie er hier rauskommen würde. Genau das musste er tun. Wallace musste etwas vergessen haben. Irgendein Schlupfloch gelassen haben. Pass auf, wenn Wallace so eine Art verrücktes Genie gewesen wäre, hätte er das Kreuz von Jesus an der Wand festgemacht, anstatt das Scheißding nur anzulehnen. War nicht sehr sicher. Das Scheißding konnte jederzeit umfallen.

Na bitte, irgendwas braute sich zusammen. Eine Lösung. Tauchte wie ein Bild vor seinem geistigen Auge auf. Oder zwei. Wallace, wie er das Kreuz an die Wand lehnte, zurücktrat, der Liebe Herr Jesus nach vorn gelehnt wie ein wütender, schmutziger Schwan, mit dem ganzen Gewicht auf der Brust. Das wäre nicht gegangen, weil er in null Komma nichts erstickt wäre. Und deshalb hatte Wallace es nicht gemacht. Er hatte ihn schräg nach hinten angelehnt. Wallace hatte das Kreuz aus einem bestimmten Grund so aufgestellt. Um seinen Tod so lange wie möglich hinauszuziehen. Drecksau.

Pearce bohrte die Fingernägel in seine Handflächen. Sein gebrochener kleiner Finger schwoll schmerzhaft an. Hielt sein Gehirn aber davon ab, auszuticken. Ein bisschen Schmerz diente der Klarheit. Jesus schrie wieder. Fluchte. »Halt die Fresse«, sagte Pearce.

Jesus schlug die Augen auf und blickte auf Pearce herunter. Jesus war blass. An seinen Wangen zerrte die Todesangst, jetzt wo er wach war und den ganzen Schrecken seiner elenden Lage empfand. Er war ein total dürrer Hering. Ein gesunderer, fitterer Mensch hätte das hier womöglich überleben können, aber nachdem er Gott weiß wie lange in einem Käfig gehalten worden war, war es nicht wahrscheinlich, dass dieser Jesus das hier noch viel länger durchstehen würde. Falls nicht ein Wunder geschah. Er war vielleicht mal ein harter Bursche gewesen, aber mittlerweile war er nur noch ein Häufchen Elend. Wallace verstand sein Handwerk.

Pearce wünschte, Wallace wäre hier. Er würde versuchen, ihn zu sich zu locken. Ihn beschimpfen oder etwas flüstern, und dann, wenn er sich über ihn beugte, ihm eins verpassen. Vielleicht mit Glück einen ordentlichen Stoß landen. Oder ihn beißen, wie in dem Film.

Doch das würde ihm nicht helfen, zu entkommen. Er hätte die Befriedigung, noch einen Schlag gelandet oder ihm ein Stück aus dem Hals gerissen zu haben, aber eine praktikable Lösung war das nicht. Er wäre immer noch in derselben Lage wie jetzt. An so eine Scheißbank gefesselt.

Wallace ließ das Messer fallen. Ihr Messer. Es fiel klappernd zu Boden, und er bildete mit dem Mund das Wort >Scheiße< und presste die Hand auf den Hals. Er stolperte auf May zu und zerrte mit der freien Hand den Revolver aus dem Hosenbund.

May wusste, dass sie ihm die Waffen hätte abnehmen sollen, solange sie Gelegenheit dazu hatte. Sie hätte nicht auf Flash hören sollen, der ihr sagte, sie solle das Zeug lassen, wo es war. Sie hätte ihrem Bauchgefühl folgen sollen. Eine leise Stimme erinnerte sie daran, dass es ihr Bauchgefühl gewesen war, das sie überhaupt in diesen albtraumhaften Schlamassel gebracht hatte. Sie sagte der leisen Stimme, sie könne sie mal, wenn sie nichts Hilfreiches beizusteuern hätte. Sie hatte keine Wahl gehabt. Sie hatte ihn abstechen müssen.

»Was soll ich jetzt machen?«, fragte sie Flash. Vielleicht würde er ihr diesmal ja einen besseren Rat geben.

»Bleib einfach sitzen.«

Hörte sich nicht so toll an. »Und was soll das bringen?«

»Er kann nicht ins Auto rein.«

Aber er konnte. Natürlich konnte er. Er blutete wie ein Schwein, doch das hinderte ihn nicht daran, mit seiner Kanone auf die Fensterscheibe zu zielen.

Sie berichtete Flash, was gerade passierte.

»Du musst raus aus dem Auto, May.«

»Aber du hast gesagt, ich war hier sicher.« Sie schrie ihn an. »Du hast’s gesagt.«

Und Schnuckelchen gab ein leises Knurren von sich, und May sagte: »Tut mir leid, Baby.« Und ins Handy: »Ich hab Angst, Flash. Ich weiß nicht, was ich machen soll.«

»Du musst… Scheiße, ich weiß auch nicht… Scheiße!«

»Flash?« Sie musste selbst entscheiden. Bleiben, wo sie war, und hoffen, dass die Kugel die Scheibe nicht zertrümmerte. Genau. Bleiben, wo sie war, und hoffen, dass Wallace nicht riskieren wollte, sie umzubringen. Genau. Nach dem, was sie ihm angetan hatte? Wallace konnte jeden Moment tot umfallen. Genau. Sie musste die Tür aufstoßen und losrennen, als wäre der Teufel selbst hinter ihr her. Was nicht schwer sein würde. Denn in gewisser Weise war er’s ja auch.

»Ich renn los«, sagte sie flüsternd ins Handy.

»Leg nicht auf«, brüllte Flash.

Also tat sie es nicht.

Wallace drückte ab, und überall flog Glas durch die Gegend.

 

Wie konnten ein Typ, der an eine Bank geschnallt und von Hunger und Durst und Schlägen auf den Kopf geschwächt und vor lauter Mangel an Bewegung steif war, und ein anderer Typ, der an zwei Holzplanken genagelt war und wegen Magic Mushrooms nicht mehr alle beisammen hatte, sich aus ihren Fesseln befreien und aus einem verschlossenen Raum entkommen? ‘n hartes Stück Arbeit, was? Pearce musste sich konzentrieren.

Wallace war weg, konnte aber jeden Moment zurückkommen. Sie mussten aus diesem Scheißloch rauskommen. Und zwar sofort. Wieder schlug Pearce der Gestank entgegen. Oder vielleicht war es gar nicht der Gestank, sondern die Erinnerung daran.

Ganz egal. Es kam jedenfalls aufs Gleiche raus.

Jesus sagte etwas. Ein bisschen atemlos. »Ich wird’s versuchen.«

Was versuchen?

Jesus hatte offensichtlich einen Plan. Pearce hatte nichts dagegen.

Jesus spannte sämtliche Muskeln an. Kopf und Oberkörper ruckten nach vorn. Nur ein klein wenig. Dann rutschte er zurück. Schrie auf. Die Hände bluteten wieder. Noch mal. Schlimmer diesmal. Das Zerren. Der Schrei.

»He«, sagte Pearce. Es war schwer mit anzusehen. Aber Pearce wusste, was das arme Schwein vorhatte.

Wieder Schreie von Jesus, als er es zum dritten Mal versuchte. Durch die Bewegung nach vorn rutschten die Hände an den Nägeln entlang, bis sie an die Nagelköpfe stießen. Dann fiel er zurück.

»Hör zu«, sagte Pearce. »Nicht…«

Jesus schrie und versuchte es von Neuem. Pearce war beeindruckt. Vielleicht war Jesus am Ende ja doch ein ziemlich harter Bursche. Selbst
wenn
er schrie. Der Laut ließ die Bank, auf der Pearce lag, vibrieren. Er konnte den Schrei bis in den Oberschenkelknochen spüren.

Aber nein. Im Leben würde Jesus es nicht schaffen, die Nägel herauszureißen. Arme Sau.

Jesus ruhte sich aus, schloss die Augen. Tränen rollten ihm über die Wangen.

Pearce wünschte, er könnte ausholen und ihn ohrfeigen. Damit er aufhörte, sich selbst so scheißleidzutun, und es noch mal versuchte.
Noch mal. Sofort.
Warum, wusste Pearce nicht. Es hatte ja doch keinen Sinn, verflucht.

»Komm schon«, sagte Jesus. »Komm schon.«

Und Pearce stimmte ein. »Komm schon«, sagte er.

 

Und weil May ihr Handy anließ, hörte Flash, was passierte.

Ein Laut, als hätte jemand ein Tablett mit Biergläsern fallen lassen, und Flash konnte förmlich sehen, wie überall die Flüssigkeit herumspritzte und die Glasscherben und Splitter, aber natürlich wusste er, dass es das nicht war, sosehr er es sich auch wünschte, und dann sah er vor seinem geistigen Auge die pulverisierte Fensterscheibe und wusste, dass es das war, was er mit angehört hatte, und sein Magen krampfte sich zu einem Eisklumpen zusammen.

Gefolgt von einem Schrei, wie Flash ihn nie wieder hören wollte, es sei denn, er käme von dem Scheißwichser, der seiner Schwester das antat, und da hätte die Sau seinetwegen schreien können, bis ihm die Kehle in Fetzen hing.

Doch durch den Schrei wusste Flash wenigstens, dass May am Leben war. Die Kugel hatte sie vielleicht getroffen, aber sie hatte sie nicht getötet.

Dann ein dumpfer Schlag und wer weiß was noch, und das Schreien hörte auf. Sodass Flash sich vorstellen musste, dass der beschissene Schwanzlutscher May niedergeschlagen hatte, und… ja genau, als Flash das Geräusch im Kopf noch mal abspielte, hatte es das dumpfe Klatschen, das ein fester Gegenstand macht, wenn er auf Knochen trifft.

Aber dann sagte May: »Du Scheißwichser!«, und Flash wurde klar, dass er sich das irgendwie alles ganz falsch ausgemalt hatte.

»Was ist los, May, Scheiße noch mal?«

»Ich hab ihm ordentlich eins übergezogen«, sagte May.

»Du hast ihn geschlagen?«

»Ausgeknockt.«

Scheiße noch eins,
hermana.
»Toll, echt, grandios. Und jetzt lass den Hund, wo er ist. Und sieh zu, dass du wegkommst. Jetzt hast du Wallace erst richtig sauer gemacht.«

»Gut«, sagte May ins Handy. Und weil Flash sie anschrie, legte sie das Handy auf den Beifahrersitz. Sie konnte nicht verstehen, was er sagte.

Die Drecksau hatte auf die Scheibe geschossen, sie zertrümmert, die Hand durchgesteckt, die Tür entriegelt und war eingestiegen.

Bildete sich ein, mit der rauchenden Knarre in der Hand wäre er Herr der Lage.

Sie hatte sich nach vorn geworfen. Ohne zu überlegen. Damit hatte er als Letztes gerechnet. Hatte sein Kinn mit dem Schädel getroffen. Es fühlte sich schon nach einer Beule an.

Jetzt hing Wallace halb drinnen, halb draußen, und aus seiner Halswunde tröpfelte Blut. Er lag mit dem Gesicht auf dem Fahrersitz, den Kopf leicht zur Seite gedreht, und sie konnte nirgendwo die Kanone sehen.

Er rührte sich nicht. Das war die Gelegenheit, ein für alle Mal dafür zu sorgen, dass sie lebend hier rauskam.

Sie schaute auf ihn runter, suchte nach der Kanone. Gott wusste, was mit dem Messer passiert war. In seiner gesunden Hand befand sich keinerlei Waffe. Die andere Hand konnte sie allerdings nicht sehen.

Oh Scheiße. So weit war sie schon mal gewesen, und diesmal würde sie kein Risiko eingehen. Sie würde wegrennen. Aber wenn sie losrannte, würde er aufwachen wie so ein Monster aus ‘nem Horrorfilm und hinter ihr herjagen. Sie würde es nie schaffen. Die einzige Methode, ihn aufzuhalten, war, ihn dauerhaft außer Gefecht zu setzen, oder? Und genau das hätte sie schon längst tun sollen.

Sie stieg aus. Ging um das Auto zur Fahrerseite, bereit zu flitzen, wenn er auch nur zuckte. Seine Hand war leer. Er musste die Kanone fallen gelassen haben. Keine Spur davon auf der Erde. Sie musste unters Auto gerutscht sein, und sie würde nie im Leben drunterkriechen, um nach ihr zu suchen, denn dann saß sie in der Falle, wenn er aufwachte. Na schön. Was sollte sie also tun?

Ihn außer Gefecht setzen. Endgültig. Genau. Sie wollte ihn nicht anfassen, aber sie wusste, dass es nicht anders ging. Sie zwang sich, ihn hinten am Gürtel zu packen. Er war schwer. Sie musste kräftig ziehen, um ihn überhaupt zu bewegen, doch schließlich rutschte er auf sie zu, wobei sein Gesicht über die Lederpolster scheuerte, bis er fast vollständig aus dem Wagen war und nur noch die Stirn auf dem Sitz ruhte.

Gut. Alles klappte prima. Jawoll. Und jetzt würde sie ihn gleich endgültig unschädlich machen.

Sie riss die Tür zurück und knallte sie fest wieder zu. Auf seinen Kopf.

Und Scheiße] Wenn der Drecksack davon nicht aufwachte.

Er setzte sich kerzengerade auf. Als hätte er nur rumgealbert und die Zeit zum Spielen sei jetzt vorbei. Er sah ziemlich benommen aus. Und dann verengten sich seine Augen.

Sie machte kehrt und rannte los. Aber sie war nur ein paar Schritte weit gekommen, als das Geräusch des Motors ihre Knie zu Brei werden ließ.

Sie schaute sich um. Er war wieder ins Auto gekrochen, saß auf dem Fahrersitz und wischte sich Blut von der Augenbraue.

Jetzt war sie dran. Es sei denn, sie rannte schneller als das Auto. Wie gesagt, jetzt war sie dran.

Pearce sprach ermutigende Worte, während Jesus noch einmal kräftig vor- und zurückruckte und vor Schmerz schrie, als seine Hände gegen die Nagelköpfe stießen.

Das Kreuz prallte von der Wand ab und klatschte gegen die Eierkartons.

Jesus weinte, aber er war ein tougher kleiner Wichser.

Pearce versuchte noch einmal mit ihm zu reden, doch sein Gehirn war definitiv zu sehr durch den Wind. Aber durch den Wind oder nicht, Pearce war sich sicher, dass Jesus eine vage Vorstellung von dem hatte, was er schaffen wollte. Er versuchte das Kreuz umzustürzen.

Okay. Vielleicht auch nicht. Schwer zu sagen. Vielleicht tat er nur, wonach seinem Körper war. Hatte er einen Plan? Wusste er, wieso er vor- und zurückruckelte? Ganz bestimmt, egal wie verrückt im Kopf er war. Sonst hätte er sich doch nicht freiwillig diesen Schmerzen ausgesetzt. Oder vielleicht
war
das ja seine Absicht, sich diesen Schmerzen auszusetzen, den Schmerz irgendwie dazu zu nutzen, den Verstand nicht zu verlieren.

Na, egal ob Jesus wusste, was er machte oder wieso er es machte, bei genügendem Schwung würde er umkippen. Und das wäre schon was. Pearce war sich nicht ganz sicher, was, aber er wusste, dass sie beide ein Gefühl des Erfolgs daraus ziehen würden.

»Na los, J.«, sagte Pearce. »Streng dich mal ‘n bisschen an.«

Brüllend warf sich Jesus ein weiteres Mal nach vorn.

Das war die richtige Einstellung. Er konnte vielleicht nicht sprechen, aber er wusste, was Pearce gerade gesagt hatte.

Pearce kam es so vor, als würde alles in Zeitlupe passieren. Das Kreuz löste sich von der Wand und blieb in der Schwebe, als wüsste es nicht, ob es nach vorn oder nach hinten fallen sollte. Jesus schien es auch nicht zu wissen. Er beugte sich noch mal nach vorn, und das reichte, endlich, um sich und das Kreuz in Richtung Pearce kippen zu lassen.

Scheiße. Geplant oder nicht, in diesem Moment erkannte Pearce den großen Scheißhaken an der Sache. Als die fünfzig, fünfundfünfzig Kilo des zugegebenermaßen unterernährten, an zwei massive Holzbretter genagelten Jesus sich ihm entgegensenkten, wurde Pearce klar, dass es ihm unmöglich war, sich zu schützen. Er würde einen mächtigen Schlag abbekommen. Er drehte den Kopf zur Seite, und machte sich darauf gefasst.

Other books

Songbird by Colleen Helme
Hellraisers by Alexander Gordon Smith
Muerte en la vicaría by Agatha Christie
Death In Paradise by Robert B Parker
A Sad Affair by Wolfgang Koeppen
Wild and Wanton by Dorothy Vernon