Hard Man (30 page)

Read Hard Man Online

Authors: Allan Guthrie

Pearce löste die Lederschnalle und versuchte, sich aufzusetzen. Seine rechte Hand war taub, und die linke war im Kribbelstadium. Er krümmte die Finger - die, die gehorchten - zu einer Faust und streckte sie gleich darauf wieder aus.

Er brauchte etwas zu trinken.

Jesus brauchte etwas zu trinken. Jesus brauchte auch noch was anderes, denn sein Gehirn war Matsch. Pearce wusste nicht genau, was helfen würde, wenn es überhaupt etwas gab. Höchstwahrscheinlich war es zu spät.

Allmählich spürte er seine Finger wieder. Tausende kleiner Nadelspitzen stachen auf ihn ein. Und ein großer Schmerz in seinem kleinen Finger. Noch ein paar Minuten, und er würde sich hier rauswinden können.

In seinen Händen war genügend Gefühl, um sich an die Arbeit an dem Riemen um seine Beine zu machen. Er löste ihn und starrte seine Beine an, um sie mit Willenskraft dazu zu zwingen, sich zu bewegen. Sie weigerten sich jedoch. Rührten sich nicht. Er konnte sie nicht spüren.

Er musste sie massieren. Den Kreislauf wieder in Gang bringen. Er ballte die Faust und schlug heftig auf seine Beine ein.

Drehte sich um, einen Krampf in der Seite ignorierend, und ließ die Beine über die Bank hängen, wobei er darauf achtete, Jesus nicht auf den Kopf zu treten. Aber Jesus war außer Reichweite auf dem Boden ausgestreckt und weinte leise oder lachte vielleicht auch in sich hinein. Schwer zu sagen. Pearces Kreislauf erholte sich mit jeder Sekunde. Er ließ sich noch ein bisschen Zeit, baumelte mit den Beinen, um dann zu versuchen aufzustehen. Verdammt, das würde sein, als ob man neu laufen lernte. Pearce konnte sich zwar nicht daran erinnern, wie es war, zum ersten Mal laufen zu lernen, aber … nein, vergiss es. Beim ersten Mal musste es viel, viel schwerer sein.

Er leckte sich die Lippen. Sein Mund schmeckte komisch. Nach der ganzen Zeit musste sein Atem modrig und abgestanden sein, garantiert zum Totumfallen.

Inzwischen schienen seine Füße mit tausend Nadeln gestochen zu werden. Was ein gutes Zeichen war. Er wäre gern aufgestanden und hätte sie herausgestampft. War er schon so weit? Na klar, scheiß drauf, wieso nicht?

Ein Klacks.

Die Ellbogen gebeugt, die Hände um die Bank geklammert, stieß er sich vorsichtig von der Bank ab. Peinlich, wenn er auf den Hintern fiel. Aber da stand er wieder. Zugegeben, seine Beine fühlten sich ein bisschen schwach an, als wären sie in Gips gewesen und der Gips wäre grade runtergekommen, doch die Nadelstiche waren schlimmer, aber eine Hand hatte er von der Bank genommen, und die andere kam … jetzt.

Kinderspiel. Stehen war pillepalle. In der Seite, wo Wallace einigen Schaden angerichtet hatte, spürte er einen stechenden Schmerz, doch er achtete nicht darauf. Im Moment war das eine kleinere Störung.

Über Jesus zu steigen war möglicherweise ein bisschen qualvoll.

Aber er würde es schaffen. Er machte einen Schritt. Waren einfach nicht seine Beine. Er war überall steif. Es war wie am zweiten Tag der Schulferien. Am ersten Tag war er immer zum Kartoffelnernten gegangen. Am Tag danach schwor er jedes Mal zu Gott, im Leben nie mehr eine Kartoffel zu ernten, so sehr tat es überall weh. Aber dann wartete er zwei Tage, bis es nicht mehr so wehtat, und ging wieder hin. Und beim zweiten Mal war’s schon gar nicht mehr so schlimm. Doch am Tag nach dem ersten Mal, so wie jetzt, war jede Bewegung eine Scheißtortur. Der zweite Schritt, wusste Pearce, war nicht mehr so schlimm. Er hob den Fuß vom Boden und trat fest auf.

Jesus sagte etwas, das Pearce nicht ganz kapierte. Sein Kopf fühlte sich ein bisschen muffig an, als hätte ihm einer einen stumpfen Gegenstand übergezogen. Aber das lag vielleicht daran, dass ihm der Knauf des Revovlers von Wallace übergezogen worden war, und das war in der Tat ein stumpfer Gegenstand.

Ein Fuß vor den andern. Ein Schritt nach dem andern. Mit jedem Schritt leichter. Bis er in einen Rhythmus kam. Wankte hinüber zu der Nagelpistole, nahm sie auf. Vielleicht war sie es ja, was Jesus hatte erreichen wollen. Dann drehte er sich um und ging zurück.

»Wie geht’s, Jesus?«, sagte er.

Er bekam ein schwaches Lächeln aus einem tränenverschmierten Gesicht zurück: »Wallace.«

»Nein, ich bin nicht Wallace. Wallace ist nicht da.«

»Wallace.«

»Mach dir um Wallace keine Sorgen.« Jesus schüttelte den Kopf. »Bring mich nicht um, Mister Wespe.« Himmelherrgott. »Festgefahren«, sagte Jesus.

Konnte man wohl sagen. Immer noch ans Kreuz genagelt. Pearce warf einen Blick auf die Nagelpistole. Wenn Wallace eine Nagelpistole hatte, dann sollte er irgendwo im Haus auch einen Hammer haben. Aber der war garantiert auf der anderen Seite der verriegelten Tür. Na klar. Pearce musste sich umsehen, ob er irgendwas fand. Wäre schön, wenn er noch irgendein Stück Holz entdeckte. Um eine kleine Schiene für seinen Finger zu machen.

 

Aber May umzubringen war gar nicht so einfach, wie Wallace es sich vorgestellt hatte. Die Tür des Krankenwagens war abgeschlossen. Schweinebande.

Wallace warf sich gegen die Tür, stieß sich den Kopf an. Durch den Zusammenprall verrenkte er sich den Hals, was ein Problem war, da das Blut jetzt in beängstigender Menge aus ihm herausströmte. So schnell würde er das nicht mehr versuchen.

Er hämmerte mit dem Revolverknauf gegen die Tür. »Macht das Scheißding auf, oder ich mach die Schlampe kalt, wie ich’s gleich beim ersten Mal hätte tun sollen.«

Nichts geschah. Niemand regte sich im Innern. Niemand antwortete.

Scheiße. Das konnte er jetzt gar nicht gebrauchen.

Von hinter dem nächsten Streifenwagen rief ihn eine Stimme an: »Lassen Sie Ihre Waffe fallen!«

»Ach, halt die Fresse!«, sagte er und schoss nach dem Auto. Er traf daneben, und die Kugel machte diese
pii
-Geräusch, wie man es in alten Westernfilmen immer hörte. Er zielte genauer und schoss erneut. Diesmal traf er die Heckklappe des nächsten Streifenwagens. Das würde genügen. Jetzt blieben sie eine Weile in Deckung.

Mit dem fleischigen Teil seiner Faust schlug er gegen die Tür und brüllte: »Wenn ihr die Scheißtür nicht aufmacht, dann schieß ich euch ‘n Scheißloch rein!« Er drehte den Revolver um, verbrannte sich die Scheißpfoten an der Mündung, ließ die Knarre fallen, hob sie wieder auf und fasste sie richtig herum.

Na los.

Auf der anderen Seite der Tür klickte es, und die Tür schwang langsam auf. Drinnen kauerte ein Sanitäter, junger Typ, ganz in Grün, schreckensbleich im Gesicht. Und auf einer Trage an der Wand lag mit einem weißen Tuch zugedeckt ein kleiner Körper.

Zugedeckt. Von Kopf bis Fuß.

»May?«, sagte Wallace. »May?« Er stieg in den Krankenwagen, wandte sich an den Sani. »Wieso hat sie das Laken überm Gesicht.«

Der Sanitäter schaute weg.

»Ich red mit dir. Wieso ist ihr Gesicht zugedeckt, verfluchte Scheiße?«

Er zuckte bedauernd die Achseln. »Sie hat’s nicht geschafft.«

»Ach, ja?«, sagte Wallace. Er glaubte es nicht. Er hatte sie nicht umgebracht. Das war unmöglich. Er hatte sie nur angefahren, ein zärtlicher kleiner Klaps, hatte sie umgehauen. Ein paar gebrochene Knochen vielleicht, aber sie konnte doch nicht tot sein. So konnte man ihn doch nicht verarschen.

»Raus hier!«, sagte er zu dem Sanitäter, der sich das nicht zweimal sagen ließ. Wallace schloss die Tür hinter ihm.

Mit May alleine, beugte Wallace sich über das Leichentuch. Zog das Laken zurück. Sie hatte die Augen geschlossen und schien nicht zu atmen. Er beugte sich vor und küsste sie auf die Stirn.

Sie war warm.

Ihre Augen gingen auf. Ein Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. »Ich hab dich immer geliebt, weißt du?«, flüsterte sie.

Sie lebte. Der Scheißsani war ein beschissener Lügner. Billiger Trick, ihr das Laken über den Kopf zu ziehen. Man hätte denken sollen, die kleine Klugscheißerin hätte sich was Originelleres einfallen lassen.

»Küss mich«, sagte sie. »Ich will nicht einsam sterben.«

Er drückte die Lippen auf ihre. Brauchte gar nicht zu überlegen. Er liebte sie auch. Deshalb musste er sie ja umbringen. Aber vorher konnte er ihr noch einen Abschiedskuss geben.

Er dachte gerade, wie teilnahmslos ihre kalten, trockenen Lippen waren, als er etwas Scharfes spürte, das sich in seinen Nacken bohrte.

Der Gestank bei Jesus’ Käfig war fürchterlich. Es war Pearce schleierhaft, wie der arme Teufel darin hatte leben können. Vermutlich hatte er gar keine Wahl gehabt. Aber trotzdem. In der offenen Käfigtür lag ein Scheißeimer, und obwohl Pearce wirklich dringend pissen musste, konnte er sich nicht überwinden. Schon beim Gedanken, einen Blick in den Eimer zu werfen, drehte sich ihm der Magen um. Er verzichtete daher. Hielt es ein. War gar nicht so schwer, da er seit seiner Ankunft hier praktisch nichts zu trinken gehabt hatte.

Nirgendwo die Spur eines Hammers. Und die selbst gebastelte Schiene für seinen gebrochenen Finger würde warten müssen, bis er in ein Krankenhaus kam.

Pearce entfernte sich, leicht hinkend wegen der schmerzenden Rippen, von dem Eimer und wartete, die Nagelpistole in der guten Hand, neben der Tür. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er das Licht ausmachen oder anlassen sollte. Die Chance, Wallace nageln zu können, erschien größer, wenn es dunkel war. Auf diese Weise hatte Wallace das Licht im Rücken, und Pearce war von der Dunkelheit geschützt. Das musste ein Vorteil sein. Aber dann dachte er sich, dass Wallace, wenn er zurückkam, schon auf den ersten Blick merken würde, dass das Licht aus war, anders als er sie zurückgelassen hatte. Trotzdem würde er einen Moment brauchen, um sich dessen bewusst zu werden, weil er nicht darauf gefasst war. Sein erster Gedanke würde sein, dass da was nicht stimmte. Und Pearce konnte ihn nageln, bevor ihm genau klar wurde, was es war. Pearce musste nur aufpassen, dass er nicht aus Versehen May erwischte.

»Was meinst du?«, fragte Pearce Jesus. »Licht an oder aus?«

Es war jedoch eine Viertelstunde her, dass Jesus irgendwas Zusammenhängendes von sich gegeben hatte. Er brabbelte fast pausenlos vor sich hin und hörte nur auf, um gelegentlich zu atmen. Er schaute Pearce nicht mal an, sondern konzentrierte sich stattdessen darauf, sich mit der freien Hand gegen den Kopf zu schlagen, den Namen von Wallace zu murmeln und etwas über große Zähne und Poesie zu brummein.

Pearce drückte den Lichtschalter, und es wurde dunkel. Jetzt konnte er nur noch abwarten.

 

Da das Auto von Wallace nicht vor dem Haus parkte, schloss Flash, dass Wallace noch nicht zu Hause war, aber ihm fiel nicht ein, was er machen sollte, außer auf ihn zu warten. Was okay war. Er konnte so lange warten, wie es sein musste.

Von einer Alarmanlage war nichts zu sehen, Flash musste es also drauf ankommen lassen. Wenn er vorgehabt hätte, einzubrechen, hätte er die Gegend ordentlich ausbaldowert, aber dazu war keine Zeit. Es gefiel ihm nicht, denn er war von Natur aus neugierig, doch er musste über seinen Schatten springen und handeln. Größeres stand auf dem Spiel.

Flash holte die Schlüssel, die May ihm gegeben hatte, aus der Tasche. Er war nicht davon überzeugt, dass sie passen würden, obwohl May behauptet hatte, Wallace hätte die Schlösser auf keinen Fall ausgetauscht, da er nie damit gerechnet hätte, dass sie zurückkam. Flash probierte sie aus, und sie funktionierten.

Kein Alarm, es sei denn, es war ein lautloser und, na ja, wenn ja, dann war er am Arsch, aber es hatte keinen Zweck, sich sein ganzes Leben lang über wenn, wenn, wenn Gedanken zu machen, schon gar nicht, wenn einem ein Irrer die Schwester überfahren hatte und für den Tod des Vaters verantwortlich war. Wer auf Rog geschossen hatte, spielte keine Rolle mehr. Die Chance war gut, dass es keinen Alarm gab, denn Wallace war nicht der Typ, der sich Sorgen um Sicherheit machte, nicht wenn man bedachte, dass er sich für fähig hielt, seine Welt ganz allein in Ordnung zu halten.

Flash betrat den Flur. Eine Treppe führte in den Keller, die Wohnküche war geradeaus.

Er öffnete die Tür, ging hinein. Das Wohnzimmer war hübsch, weißes Ledersofa, großer weißer Teppich, ein Stapel Decken und ein Kopfkissen in der Ecke, so als ob Wallace hier geschlafen hätte. Die Küche auch nicht übel. Schicker glänzender Herd, blitzsaubere Arbeitsflächen, großer Wahnsinnskühlschrank, an dem ein Haufen Kühlschrankmagneten und ein paar Fotos klebten, die Fotos vor allem von May. Eigentlich waren alle von May. Vielleicht war Wallace ja kamerascheu, oder vielleicht hatte er alle Fotos gemacht.

Flash zog ein Messer aus dem Messerblock. Schön große, fette Klinge. Er wollte sich mal umschauen, das Terrain absichern. Tja, Einbrecher und Soldaten waren sich gar nicht so unähnlich, obwohl Flash nicht genau wusste, was er heute war.

 

Was es auch sein mochte, es bremste Wallace augenblicklich. Die Scheißsanis wussten Bescheid mit ihren verfluchten Medikamenten, und der Wichser, der nicht schnell genug aus dem Krankenwagen kommen konnte, musste May die Spritze mit irgend’ner K.-o.-Scheiße geladen haben, während Wallace draußen an die Tür trommelte. Gerissene Sau.

Wallaces Schlampe von Eheweib hatte ihm die Nadel reingebohrt und versenkt, ehe Wallace schnell genug reagieren und von ihr wegkommen konnte. Er fühlte sich verflucht wabbelig, und mit jeder Sekunde wurde es schlimmer. Die Nadel ragte ihm immer noch aus dem Hals. Sein Hals war total am Arsch, da gab es nichts. Überall Löcher inzwischen. Und er konnte kaum noch die Knarre halten, so schwach war er bei all dem Blut, das aus ihm heraussprudelte, und den Drogen, die durch seinen Leib kurvten. Aber er musste es versuchen. Er musste zu Mays Kopf hinüber und genau zwischen die Augen zielen.

Und dann abdrücken.

Wallace versuchte die Hand zu heben, doch sie bewegte sich nur widerwillig. Er hatte das Gefühl, seit einer Woche nicht geschlafen zu haben. Der andere Arm war total abgestorben, keine Chance, ihm eine Reaktion zu entlocken. Der Hemdsärmel über seinem Unterarm war eine einzige ekelhafte, blutige Sauerei, und wenn es eine TV-Soap gewesen wäre, hätte er den Arm verloren. Wenn schon, Wallace hatte noch einen. Das Dumme war, dass der ihm auch nicht gehorchte.

Sein Kopf sank in Richtung May. Fiel ihm schwer, ihn hochzuhalten, als hätten sich seine Halsmuskeln in weichen Gummi verwandelt.

Seine Hand mit der Kanone fiel auf May. Mit panischem Blick grapschte sie danach, aber er hielt fest. Er fand es seltsam, dass sie nicht um sich trat. Egal, er musste es jetzt tun, oder er schaffte es nie. Er wusste, dass er es konnte. Wusste es. Scheiße noch mal.

Other books

Devdan Manor by Auden D. Johnson
Blood Lines by Mel Odom
The Proposition by Katie Ashley
Amity & Sorrow by Peggy Riley
Destiny Strikes by Flowers-Lee, Theresa
One Unhappy Horse by C. S. Adler
The General and the Jaguar by Eileen Welsome
The Dosadi Experiment by Frank Herbert