Hard Man (5 page)

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Authors: Allan Guthrie

Im Wohnzimmer griff er nach dem Foto von May, wobei ihm auffiel, dass sie die Finger über den Bauch gespreizt hatte, und wählte die Nummer auf der Rückseite.

»Mr. Pearce?«, sagte Baxter.

Hatte ihn wohl schon an der Nummer erkannt, was? »Ich hab mich entschieden«, sagte Pearce. Er wartete ab. »Und?«, sagte Baxter. »Die Antwort ist Nein.« Pearce legte auf.

 

Pearce war erstaunt, dass Baxter zwei Tage verstreichen ließ, ehe er zurückrief. Aber er tat es.

»Ich hab mich entschieden«, teilte Pearce ihm mit. »Geben Sie sich keine Mühe, mich umzustimmen.«

»Wie wäre es«, sagte Baxter, »wenn ich Ihnen das Doppelte anbiete?«

Ah, der Mistkerl. Jetzt versuchte er es auf die krumme Tour. Acht Riesen waren eine Menge Kohle. Na schön, das Spielchen konnte er auch spielen. »Ich denk drüber nach«, sagte Pearce und legte auf.

Er schlief gut in dieser Nacht. Stand am nächsten Morgen erst um zehn auf. Hilda war schon fast am Platzen.

 

Baxter rief an, wie Pearce es vorausgesehen hatte. Die Frage war nur gewesen, wie lange die arme Sau es aushielt. Laut Pearces Uhr hatte er um zwei Uhr vierundzwanzig schlappgemacht.

Baxters Stimme klang stark angespannt. Hörte sich an, als würde ihn jemand würgen. »Haben Sie sich schon entschieden?«

»Zehn«, sagte Pearce.

»Um Himmels willen«, sagte Baxter. »Ich bin Rentner.«

»Rog nicht. Und Sie haben gesagt, er sei grade erst befördert worden.«

»Hören Sie, Herrgott, bleiben Sie dran.«

Pearce blieb dran. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Baxter zustimmen würde. Aber er kam wieder ans Telefon und sagte: »Okay.« Nur so zum Spaß, einen Versuch war es immer wert. Das Dumme war, dass Pearce gar nicht die Absicht hatte, den Job anzunehmen. Er hatte seinen Entschluss gefasst, und für gewöhnlich brachte ihn dann nichts mehr davon ab. Wenn er den Job gewollt hätte, hätte er sich gleich mit vier Riesen zufriedengegeben.

»Ich muss alles organisieren«, sagte Baxter. »Muss Ihr Zimmer aufräumen.«

Also, Moment mal. Jetzt bildete sich Baxter aber ganz schön was ein. Pearce hatte nicht gesagt, dass er den Job übernehmen würde. Er hatte nicht mal angedeutet, dass die Möglichkeit bestand, oder? Nur >zehn< gesagt, mehr nicht.

Pearce wollte die Sache gerade klarstellen, als Baxter, der alte Spinner, sagte: »Sie werden ein paar Hintergrundinformationen brauchen, schätze ich. Erst mal den Tagesablauf von Wallace. Das ist kein Problem. Während der Woche arbeitet er gern ein bisschen länger, damit er freitags früher nach Hause kann. Und Sie müssen wissen, wo May hingeht und wann. Im Moment sind Schulferien, das heißt, sie geht überallhin, schwimmen und Sportstudio und einkaufen und so, aber hauptsächlich liegt sie bei schönem Wetter einfach im Garten rum. Und, na ja, ich weiß nicht. Ich muss einfach wissen, wann Sie einziehen. Pearce?«

Pearce wollte nicht grausam sein. Ehrlich nicht. Er musste den armen Kerl aus seinem Elend erlösen. »Baxter?«

»Ja?«

»Ich kann nicht.«

»Wie meinen Sie das?« Baxter hielt inne. »Sie haben doch grade gesagt, Sie würden’s machen. Hören Sie, ich kann Ihnen das Geld bezahlen, wenn das Ihre Sorge ist.«

»Das bezweifle ich nicht«, sagte Pearce. »Wieso kaufen Sie stattdessen nicht einfach was Schönes für May?«

 

Jacob hatte noch nicht lange aufgelegt, als Flash nach Hause kam und in die Küche spazierte, in der sein Vater sich gerade eine Tasse Tee machte. Flash stand da und tappte mit den Füßen hin und her, als wären sie eingeschlafen und er versuchte sie wach zu stampfen. Er trug Turnschuhe, die Senkel waren nicht zugeschnürt. Man hätte getrost annehmen können, dass er irgendwelche Probleme mit den Füßen hatte, aber Jacob wusste, dass seine Art der Fußbekleidung ein Fashion Statement war, keine Krankheit.

»Wie geht’s deinem Kopf?«, fragte Jacob. Sicher, es war eine Ewigkeit her, aber Pearce hatte Flash echt verdroschen mit dem Aktenkoffer, und bei Kopfverletzungen konnte man nie vorsichtig genug sein.

Flash nahm einen Schluck aus einer Limodose, die er mitgebracht hatte. »Gut«, sagte er und kratzte sich am Schädel, wie um zu beweisen, dass er nicht mehr wehtat. Aber vielleicht tat er doch noch weh, denn er ging hastig dazu über, die Stelle an seinem dürren Arm zu kratzen, wo sein T-Shirt endete. »Wie geht’s der Nase?«

»Gut«, sagte Jacob. Das stimmte nicht, aber sie wurde mit jedem Tag weniger empfindlich.

»Und«, sagte Flash, »hast du Pearce angerufen?«

Flash war so dürr, dass schon sein Anblick Magenknurren verursachte. Schon immer. Hätte wirklich einmal anständige Hausmannskost gebraucht, um ihn etwas zu mästen. Aber die würde Flash in allernächster Zeit nicht kriegen. Er war mit sechzehn von zu Hause ausgezogen. Zurzeit hatte er ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft gemietet. Lief ziemlich gut, wenn man bedachte, dass der Kleine erst einen einzigen Job gehabt hatte, als Tankwart, und es hatte nicht lange gedauert, bis er gefeuert wurde, weil er geklaut hatte. Der geborene Dieb. Jacob wusste nicht, woher er das hatte, doch seit er alt genug war, um Sachen in die Tasche zu stecken, die nicht ihm gehörten, hatte Flash nichts als Ärger gemacht. Er lebte von Fertigfraß aus der Mikrowelle, der kaum Nährwert hatte. Der Junge brauchte mal eine Ofenkartoffel, die richtig in Butter schwamm. Ach was, einen ganzen Sack davon.

Dünn oder nicht, Flash hatte Mumm, keine Frage. Jacob stellte sich nicht gern vor, womit er seine Kohle verdiente, ganz bestimmt nicht, aber da er erst zwei Mal festgenommen worden war und nie gesessen hatte, musste er wohl gut darin sein.

»Und?«, sagte Flash, und Jacob fiel wieder ein, dass man ihn etwas gefragt hatte.

Jacob schilderte sein Gespräch mit Pearce.

Als er fertig war, sagte Flash: »May braucht nicht >was Schönes<. Sie braucht Schutz.«

»Pearce hat keine Tochter«, sagte Jacob. »Der weiß nicht, wie es ist, wenn man für einen anderen Menschen verantwortlich ist.«

Flash trank einen langen Schluck Limo. »Nimm’s dir nicht so zu Herzen, Dad«, sagte er.

Jacob fragte sich, was sein Sohn da redete, dann merkte er, dass er recht hatte. Der Zorn schoss ihm durch die Muskeln, und ihm zitterten die Arme und Beine wie vor ein paar Wochen, als er an einem Freitagnachmittag mit Norrie eine Stunde lang im Schwimmbecken gewesen war. »Wallace hätte ihn sowieso in der Luft zerrissen«, sagte er.

Mit leicht geöffneten Lippen schaute Flash ihn an. Er rülpste. »Da bin ich nicht so sicher«, sagte er.

»Na ja«, sagte Jacob. »Wir werden’s nie erfahren.« In Wirklichkeit dachte Jacob, dass Pearce den Job wahrscheinlich machen konnte. Der blöde Kerl war nicht sehr groß, aber er wusste sich zweifellos zu helfen. Jedenfalls hatte er Rog und Flash mühelos auseinandergenommen.

»Und jetzt?«, fragte Flash.

Jacob ging zu dem Schrank unter der Spüle, holte einen Prospekt heraus und blätterte auf Seite 83. Zeigte auf das Haus, das er eingekreist hatte.

Flash nahm den Prospekt, zog einen Stuhl heraus und setzte sich an den Tisch. »Das bedeutet, wir reißen May aus der Schule«, sagte er. »Weg von all ihren Freundinnen.« Er rülpste noch einmal und drückte die Dose zusammen.

»Aber dadurch ist sie weg von ihrem psychopathischen Ehemann.« Pearce hatte Jacob voll im Regen stehen lassen, schutzlos wie ein Baby. May war in Gefahr: Jetzt hatte er keine Wahl mehr. Er musste eine volle Monatsrate auf die Villa abdrücken. In einem weißen Bergdorf in Andalusien würde Wallace sie nie finden. Es sah hübsch aus in dem Prospekt. Hübsch und friedlich. Und nicht zu viele Leute, die unangenehme Fragen stellten. Perfekt, was?

Spanien, allerdings. Der Magen drehte sich ihm um, und seine Nase schmerzte noch stärker. Was nicht so sehr an Spanien als solchem lag, dort, da war er sich sicher, war es schön, als am Gedanken, auf seine alten Tage von zu Hause wegzumüssen. Er hatte keine Lust, seine vertraute Umgebung zu verlassen und eine neue Sprache zu lernen und in ständiger Hitze zu leben, und sei es auch nur für ein Jahr oder zwei. Ach, er war jetzt gerade einfach wieder alt und dumm. Man musste Opfer bringen für seine Kinder, was war man denn sonst für ein Vater? Er konnte es nicht riskieren, zu bleiben, daran gab es keinen Zweifel. Nicht mit May in ihrem Zustand. Und überall sonst im Land würde Wallace sie aufspüren. Dessen war Jacob sich sicher. Entfernung. Am wichtigsten war es, Entfernung zwischen Wallace und May zu legen.

Ach, es war schlimm, dass Pearce ihn im Stich gelassen hatte.

Nicht mehr ganz so schlimm würde es sein, wenn das Baby geboren war. Jacob würde sich nicht mehr so viel Sorgen machen, und vielleicht konnten sie dann zurückkommen, aber im Moment hatte er schreckliche Angst, sie würde es verlieren, wenn sie blieben.

So viel dazu also. Ab nach Andalusien!

Die Küchentür schwang auf, und Rog sagte: »Hat jemand irgendwo meine Schwimmbrille gesehen?«

»Die brauchst du doch nur, damit du den Kopf unter Wasser stecken und nach den jungen Kerlen in Badehosen spannen kannst«, sagte Flash.

Rog rannte zu ihm und boxte ihn gegen die Schulter. »Was machen deine Eier?«

»Maricon«,
sagte Flash, ballte eine Faust und drohte Rog damit.

»Hilfe, Dad«, sagte Rog. »Jetzt kommt er mir wieder mit Spanisch.«

Jacob konnte ihr Schuljungengeplänkel im Augenblick nicht ertragen. Er wusste, dass es nicht böse gemeint war, aber es machte ihn wahnsinnig. Rog um sich zu haben war okay, doch Flash und Rog zusammen, das war manchmal zu viel. »Wollt ihr beiden wohl damit aufhören?«, rief er.

»Entschuldige, Dad«, sagte Flash.

Rog verdrückte sich grinsend aus der Küche.

Als Jacob zum ersten Mal mit der Idee gekommen war, das Land zu verlassen, hatte Rog angeboten, May zu begleiten, aber Jacob wollte nichts davon wissen. Rog hatte sein Leben und seinen Beruf hier, und Jacob wollte da nicht hineinfunken. Jacob war Rentner, seine Frau war vor fast sechs Jahren gestorben, und er hatte nur einen guten Freund, Norrie. Er konnte das Land morgen verlassen, ohne dass es jemandem auffallen würde.

»Hast du auch wirklich genug Geld dafür?«, fragte Flash und zeigte auf den Prospekt.

Jacob nickte. Sie hatten das Geld, mit dem sie den Leibwächter bezahlen wollten. Zusammen mit Jacobs Ersparnissen und den zwei Riesen, die Flash versprochen hatte, stand die Kasse bei fast fünfzehntausend. Das musste reichen, um die Villa so lange zu mieten, wie sie sie brauchten. Swimmingpool hatte sie keinen, aber damit musste May einfach zurechtkommen. War vermutlich sowieso nicht sicher, wenn man ein Baby erwartete. Um ihr Zuhause in Edinburgh brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Annies Tod hatte die Hypothek bezahlt, was wenigstens ein kleiner Trost war für die Tatsache, dass es nicht richtig war, wenn eine Frau vor ihrem Mann starb, schon gar nicht, wenn sie zehn Jahre jünger war als er. Sie fehlte ihm. Sie fehlte ihm jeden Tag. Als sie starb, war es, als wäre ihm das Herz gestohlen worden, und er hatte es immer noch nicht zurück.

Flash klappte den Prospekt zu. »Es muss noch eine andere Lösung geben«, sagte er.

Jacob wünschte, es gäbe eine. Er hatte wirklich keine Lust auf Spanien.

Wenn Pearce den Job nicht übernehmen wollte, konnte Jacob sich ja vielleicht woanders umsehen. Doch er brauchte schnell jemanden. Und wie machte man das? Ob Leibwächter Anzeigen aufgaben? Solche, wie er einen suchte? Rog hatte bewiesen, dass ein Rausschmeißer gegen einen trainierten Kampfsportler nichts ausrichtete. Es war verzwickt. Aber alles, wenn sich nur Spanien vermeiden ließ. Vielleicht konnte er es ja noch mal bei Cooper versuchen, hören, ob es nicht jemand anderen gab, den er empfehlen konnte.

Es klopfte an der Haustür, und kurz darauf erschien ein bekanntes Gesicht in der Tür zur Küche. Norrie nickte Flash zu. »Hallo, Boss«, sagte er zu Jacob. »Alles klar? Schwer zu sagen, bei deiner Nase da, aber mir scheint, du ziehst dein trauriges Gesicht.«

Jacob freute sich, Norrie zu sehen, »‘ne Tasse Tee, Kumpel?«

 

Rog stand in der Tür zur Küche und ließ seine Schwimmbrille am Finger baumeln.

Jacob wusste, dass Flash unter dem Tisch obszöne Gesten machte, sagte aber nichts.

»Wir sind dann mal weg«, sagte May und gab Jacob einen Schmatz auf die Wange. »Bis dann, Flash. Norrie.«

Norrie prostete ihr mit seinem Teebecher zu.

»Viel Spaß«, sagte Jacob. Sie bemühte sich immer noch nach Kräften, den Tod von Louis zu verarbeiten, und Jacob wünschte, er könnte ihr helfen. Louis war ihr Hund gewesen. Sie hatten ihn am Vorabend im Garten beerdigt. Hatten sie die Leiche nicht sehen lassen und ihr nur gesagt, er sei überfahren worden. Es hatte keinen Sinn, sie in Angst und Schrecken zu versetzen.

Sie schloss die Tür hinter sich.

Jacob machte sich jedes Mal Sorgen, wenn sie das Haus verließ. Doch er konnte sie ja schließlich nicht einsperren. Und heute hatte sie Rog als Begleiter. Nicht ideal, aber das Beste, was angesichts der Umstände drin war.

An einem öffentlichen Ort würden sie einigermaßen sicher sein. Wenn Wallace etwas versuchen wollte, dann irgendwo, wo es keine Zeugen gab. Er war zwar verrückt, allerdings auch gerissen.

Egal. Jetzt, wo May weg war, konnten Jacob, Norrie und Flash offen reden. Norrie war ein Fels in der Brandung. Er war aus seinem Unfall stärker denn je hervorgegangen. Vielleicht ein bisschen verwirrt ab und zu, aber nicht so, dass man es merkte, wenn man nicht darauf achtete oder nicht wusste, was passiert war.

»Dann ist Spanien also endgültig«, sagte Flash. »Da wird ich euch ‘nen Crashkurs in
espanol
geben müssen.«

Alter Familienwitz. Als Flash etwa zehn Jahre alt gewesen war, hatte er behauptet, fließend Spanisch zu sprechen. Und es war ihm ernst damit gewesen. Er hatte knapp ein halbes Dutzend Wörter aufgeschnappt und dachte, er würde die Sprache beherrschen. In dieser Hinsicht war er komisch. Jacob erinnerte sich, als Flash noch ganz klein gewesen war, drei Jahre alt vielleicht, und hinten im Auto gesessen und gesagt hatte: >Daddy. Ich weiß alles.< Damit meinte er, wie Jacob später klar geworden war, dass er alles benennen konnte, was er sah. Es war, als sei seine Fantasie eingeschränkt. Er konnte nicht über das hinaussehen, was er wusste. Flash glaubte heute immer noch, er wüsste alles. Er konnte
no problemo
sagen, also war er
muy fluente.

»Das würde mich freuen«, sagte Jacob.

»Du darfst nicht nach Spanien gehen«, sagte Norrie. »Das ist nicht recht. Dieses … Schwein kann dir nicht vor…schreiben, wo du zu leben hast.«

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