Read Meat Online

Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

Meat (2 page)

Trotzdem erschienen ihr die Zwillinge noch immer zu dünn.

In der Regel wusch Richard sich mit kaltem Wasser aus dem Stahlkübel vor dem Haus, benutzte die alte, steinharte Seife, zog dann den langen, braunen Kittel aus grobem Stoff über, den sie für ihn hatte machen müssen, und setzte sich für fünf Minuten schweigend ins Wohnzimmer, bis sich sein Atem normalisiert hatte. Statt wie früher scherzend oder lachend, kam er schließlich wortlos hinüber zum Tisch und hieß sie alle stillschweigend Platz zu nehmen, ehe sie aßen. Sobald er nach seinem Besteck griff, begannen die Mädchen zu schnattern und zu kichern und erst dann schien im Haushalt der Shantis alles so zu sein, wie es sein sollte.

MFP-Arbeiter waren privilegiert und erfreuten sich besonderer Aufmerksamkeit. Sie hätten sich ein größeres Haus näher zur Stadt oder eine ganze Etage in einem der Wohnblocks aussuchen können, wenn sie es gewollt hätten. Platz und Auswahlmöglichkeiten gab es zur Genüge. Aber sie waren sich einig, dass sie gerne etwas Grün um sich hätten, und Richard wollte schon immer sein eigenes Obst und Gemüse anbauen ― ein weiteres Hobby, das zur fixen Idee geworden war. Eigentlich war es gefährlich, in derartiger Isolation zu leben, aber MFP-Arbeiter genossen so gut wie überall Schutz, und Richard Shantis Familie war aufgrund seines wichtigen Jobs geradezu unantastbar. Auf ewig sicher und geschützt im Schatten von Rory Magnus, dem Fleischbaron.

Maya würde sich gerne ihres glücklichen Schicksals erfreuen, lächeln und ihren Mann mit Liebe überschütten. Sie wollte ihr gesellschaftliches Ansehen in der Stadt auskosten und ihr Leben so sorglos wie die anderen MFP-Ehefrauen leben. Aber jeden Abend, wenn sie das Abendessen auftrug und die dünnen Ströme von Schweiß betrachtete, die immer noch Richards Schläfen herabrannen, fühlte sie eine Last auf ihren Schultern. Sie war so schwer wie jene, die er zweimal täglich auf seinem Rücken schleppte.

Zum Dessert gab es frische Früchte von den Bäumen, Stauden oder Reben am Haus. Richard aß seine Früchte Bissen für Bissen und kaute dabei so ausdauernd, dass die Zwillinge lachen mussten, als sie jedes Mahlen seines Kiefers zählten. Er streckte beiden eine knochige Hand entgegen, um ihre Gesichter und ihr Haar zu berühren. Dann zog er sich ins Schlafzimmer zurück und legte sich ins Bett. In letzter Zeit hatte er Schwierigkeiten, seine Augen bis zum Ende der Mahlzeit offen zu halten. Maya wusste, dass er sich selbst aufzehrte, sich mittels seiner grausamen Selbstkasteiung zu einer kläglichen Karikatur von einem Mann herunterbrannte.

Etwas musste geschehen.

 

Richard Shanti lief jeden Tag.

Während seines Sonntagslaufs pflegte er seinen Körper derart heftig und ausdauernd zu schinden, dass es ihm dann beinahe gelang, daran zu glauben, seine Taten könnten eines Tages gebüßt sein. Sonntags lief er nur einmal, aber er lief weiter und schneller. Die Strecke war eine andere als jene, die er werktags lief. Am Anfang verlief sie gleich, aber wenn er auf der Hauptstraße außerhalb der Stadt war, bog er in einen Pfad ein, der von Woche zu Woche bloß durch seine eigenen schweren Schritte von Bewuchs frei gehalten wurde.

Der Pfad, den er nahm, führte durch wildwuchernde Hecken, die längst nicht mehr gehegt und geschnitten wurden. Der Zugang wurde von ein paar zerbrochenen Backsteinen markiert, die einst zur Brüstung auf einer Seite der Brücke gehört hatten. Die einzigen Fahrzeuge, die so weit aus der Stadt herauskamen, waren die MFP-Busse, die die Arbeiter zur und von der Arbeit kutschierten und LKWs, die Fleisch transportierten. Niemand außer ihm kam jemals zu Fuß hierher. Es war zu weit von der Stadt entfernt, um sicher zu sein. Die Brücke war noch da, aber ihre Brüstungsmauern waren längst verfallen. Ihr Bogen spannte sich über einen Hohlweg, der Richtung Stadt verlief. Auf der gegenüberliegenden Seite führte er in Richtung der Ödnis. Bis zum Steinhaufen waren es fünf Meilen. Dies war die erste Wegmarke, zu der ihn sein sonntäglicher Lauf führte. Wenn er ihn erreichte, verließ er die Hauptstraße, und der Pfad führte ihn durch Brombeergestrüpp, Brennnesseln und stacheligen Weißdorn bis unter das Niveau der Straße. Die Kratzer auf der Haut seiner Beine waren ihm willkommen. Der Pfad war derart zugewuchert, dass er sich fühlte, als liefe er durch einen Dschungel auf dem Grund eines gigantischen Abflussgrabens. Ihn umgab schier undurchdringliches Dickicht. Er musste sich ducken und Strängen niedrig hängender, nadelbespickter Ranken und dem ausufernden Geäst kleinerer Bäume ausweichen, deren ungezügeltem Wachstum niemand mehr Einhalt gebot, seit der mysteriöse Seitenpfad aufgegeben worden war.

Von der Brücke wandte er sich nach links, weg von der Zivilisation. Wäre er rechts abgebogen, hätte ihn der verlassene Pfad geradewegs ins Zentrum der Stadt geführt, ein Ort, nach dessen Besuch es ihm nicht verlangte. Zweige schlugen ihm gegen die Arme und ins Gesicht. Abgestorbene Äste und Wurzeln drohten, ihn zum Stolpern zu bringen. Die ständigen kleineren Blessuren, sowie die allgegenwärtige Bedrohung, bei einem Sturz schlimmere Verletzungen zu erleiden, machten den Sonntagslauf zum härtesten und lohnenswertesten seiner Läufe.

Seine einzige Regel: Wenn er lief, durfte er nur aus einem einzigen Grund anhalten: Dass er körperlich außerstande war, weiterzulaufen. Aber das geschah niemals.

Nur während des Sonntagslaufs geriet er überhaupt in Versuchung, anzuhalten. Das hing aber keineswegs damit zusammen, dass er sich bemüht hatte, jene Schmerzen, die er sich selbst zufügte, zu vermeiden. Einige Meilen den versteckten Pfad entlang, begannen die Böschungen auf beiden Seiten stetig abzufallen, bis der Weg schließlich von einem Hohlweg zum Damm wurde. Weiterhin umgab ihn dichtes Gestrüpp, aber hin und wieder erhaschte er flüchtige Blicke auf die Ödnis jenseits der Stadt. Die Ödnis bildete eine natürliche, annähernd kreisförmige Grenze, die niemand jemals überschritt. Sein eigenes Haus stand näher an der Umfassung, als es den meisten Leuten lieb gewesen wäre, aber es lag ein breites Band aus Feldern und Wäldern dazwischen. Hier jedoch näherte sich die Uferböschung dem stehenden Wasser des alten Kanals, und er vermochte in diese unfruchtbare, erodierte Landschaft hinauszublicken.

Der Boden gab nicht ein Gramm Nahrung her. Stattdessen bedeckte ein schwerer, schwarzer Staub die dunkle, schroffe Fläche. Es war, als blickte man auf ein schwarzes Meer aus dem Boden gemeißelter Wellen, die sich niemals bewegten. Oder auf eine schwarze Wüste voller winziger Dünen.

Gelegentlich funkelte weißer Glanz unter dem Staub, wenn der vom Wind emporgewirbelte Staub das gläserne Gestein darunter entblößte. In der Ödnis gab es nichts. Nichts außer Durst, Hunger und Einsamkeit bis zum Tode.

Die Leere führte ihn in Versuchung. Die Ödnis war ein Ort, an dem er seiner Erlösung entgegenlaufen könnte. Der Tod wäre qualvoll, aber garantiert. Es schien das perfekte Ende für das Leben eines Henkers zu sein.

Dann ließ das zügellose Wachstum des dichten Gesträuchs ― in der Regel doppelt so hoch wie sein Kopf ― für kurze Momente nach. Er lief einen ungeschützten Grat entlang.

Dort, wo der Damm auf den alten Wasserweg traf, führte, wenn er erneut links abbog, eine Route entlang den Außenbezirken der Stadt zurück zu seinem Haus. Lief er geradeaus weiter, endete der Weg und der Damm, auf dem dieser verlief, und wurde von der Ödnis geschluckt. Der Kanal zweigte nach rechts ab, bis er schließlich schmaler wurde, versickerte und in der leblosen Wildnis endete, welche die Stadt mit ihrer schwarzen Faust umklammerte.

 

Richard lag mit geschlossenen Augen auf dem Rücken und war bereits eingeschlafen. Maya hatte die Mädchen nach oben in ihr Zimmer verbannt. Sie zog die Tür hinter sich zu, nachdem sie eingetreten war, und beobachtete, wie sich das Zwerchfell ihres Mannes unter seinen langen, flachen Atemzügen dehnte und zusammenzog. Er war so mager, dass es ihr Schmerzen bereitete, ihn zu betrachten. Es schien eine Dekade her zu sein, dass er ihr das letzte Mal ein Lächeln geschenkt hatte. Er könnte auf seinem Sterbebett liegen, dachte sie, als sie seine fahle Haut und die tief in sein Gesicht gegrabenen Linien betrachtete.

Leise zog sie sich aus. Sie wollte ihn nicht aufwecken. Als sie nackt war, sah sie in den Spiegel, drehte sich nacheinander erst zur einen, dann zur anderen Seite, um die Rundungen ihres Gesäßes, ihres Bauchs und ihrer Brüste zu betrachten.
Geliebter Vater, bald werde ich genauso dürr sein, wie der Rest von uns.
Sie hob die Handfläche vor den Mund, um den Schluchzer zu unterdrücken, der ihr entschlüpfen wollte. Nachdem sie sich wieder gefasst hatte, hob sie ihre Brüste mit beiden Händen an und erspürte ihr Gewicht. Sie sollten voller und schwerer sein, so wie sie es einmal gewesen waren. Nun aber waren sie dünn und hatten an Form verloren.
Flach.
Sie hasste es, das zu sehen.

Richard war erst zehn Minuten im Bett. Sie schlüpfte neben ihn und glitt unter die Decke. Er trug ein Nachthemd, war aber von der Hüfte an nackt. Sie küsste seinen weichen, leblosen Penis und nahm ihn zwischen ihre Lippen. So behutsam, wie sie konnte, darauf bedacht, ihn nicht aufzuwecken, bearbeitete sie ihn in ihrem Mund mit der Zunge, bis er anzuschwellen begann. Bald pochte er, wie er es in den frühen Jahren ihrer Ehe jede Nacht getan hatte. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit fühlte sie, wie das warme Anschwellen sinnlicher Lust und Erregung ihren Bauch erfüllte und sie durchströmte.

Er regte sich. Er gab ein Stöhnen von sich, das nach Schmerz und Qual klang. Sie hörte nicht auf. Er keuchte, und sie wusste, dass er jetzt wach war. Wach, ohne sie von ihrem Tun abzuhalten. Sie hielt sich ein wenig zurück, um es hinauszuzögern. Damals hatte er nie gewollt, dass es endet. Und sie hatte ihn gereizt, bis er nach Erlösung schrie.

Er sprach:

»Mir fehlt es an Energie, deine Zärtlichkeiten zu erwidern.«

Sie hielt ein:

»Ich tue es ganz allein für dich.«

In den nächsten fünfzehn Minuten widmete sie sich ihm, bis die Haut seines Penis so straff war, dass sie beinahe zu platzen schien. Sie wusste, er würde jeden Moment kommen.

Sie hielt erneut inne.

»Bitte, Maya. Hör jetzt nicht auf.«

»Ich möchte, dass du etwas für uns, für mich, tust.« »Nein, Maya. Lass das. Du weißt, ich kann das nicht. Ich werde es nicht tun.«

Sie nahm ihn wieder in den Mund, bis er kurz davor war, zu explodieren. Dann zog sie ihren Mund wieder weg.

»Siehst du nicht, wie dürr sie sind? Sie sind auf dich angewiesen. Wir alle sind das. Ich flehe dich an, Richard, nur dieses Mal. Lass uns nicht so hungern.«

Sie hob ihren Kopf wieder über ihn. Die Muskeln in seinem Bauch und seinen Lenden spannten sich.

»Nein«, sagte er.

Sie lutschte ihn heftiger, stoppte erneut.

»Bitte, Richard, wir brauchen es. Nur ein paar Kilo. Du kannst es in deinem Rucksack tragen. Mach ihn voll.« »Bring es zu Ende, Maya, lass mich kommen.«

»Fleisch. Versprich, dass du uns Fleisch mitbringst.«

Er weinte, schüttelte den Kopf, aber stimmte zu. Schüttelte den Kopf und sagte: »Das werde ich. Versprochen.« Er legte seine Hand auf ihren Kopf und drängte ihn herab. Sie nahm ihn tief in den Mund.

  
2

 

BLAU-792 trommelt mit seinen Stummelfingern auf die Aluminiumverschalung seines Verschlags. Das Klopfen wird von »hhaa«- und »ssuh«-Lauten unterbrochen, die keuchend aus seinem halboffenen Mund herauskommen. Sie sind zu stockend, um wirklich rhythmisch zu sein, zu sehr gestückelt, als dass sie einer Melodie folgen könnten. Und doch sind seine Stummelfinger geschickt. Die geflüsterten Schemen seines Schnaufens sind keine erlernten, wiederholten Zeilen. Es sind manische Seufzer konzentrierter Leidenschaft.

BLAU-792 hört auf zu klopfen und zu seufzen und presst seinen fetten, muskulösen Leib gegen die Metallverkleidung. Sie beult sich ein wenig aus, aber sie wird von einem Balkengitter verstärkt. Das kalte Metall jagt in Wellen lustvollen Unbehagens eine Gänsehaut über seinen Körper. Er legt sein rechtes Ohr auf den Stahl. Sein haarloser Schädel reflektiert das trübe gelbe Licht der Lampen über ihm. Halbwegs warm wird es ihm hier nie.

Er vernimmt ein Klopfen, ein Seufzen durch das Metall. Auf seinem Gesicht zeichnet sich ein Lächeln ab. BLAU-792 ist ein Bulle. Ein schwergewichtiger, grobknochiger Fortpflanzungsgigant ― ein Kämpfer, über Generationen zu physischer und sexueller Überlegenheit geschliffen.

BLAU-792 hat einen runden Schädel, einen grimmen Blick und das Gesicht einer Bulldogge. Hundertvierzig Kilo Fleisch, zwischen dessen Beinen ein Paar kostbarer Eier baumelt. Er ist einundzwanzig Jahre alt und kann ohne zu ermüden den ganzen Tag lang Kühe bespringen. Das allein ist es, was BLAU-792 am Leben hält, und er weiß das. Doch nicht einmal das Ausüben seiner Fortpflanzungspflicht ringt ihm jemals ein Lächeln ab.

Aber gelegentlich, wie jetzt gerade, gestattet er seinen Lippen ein Kräuseln und öffnet den Mund zu einem Grinsen. Das Lächeln entblößt hinter seinem blanken, zahnlosen Zahnfleisch eine gelb belegte Zunge. Er hört leises Trommeln. Schnurren und Keuchen und Schnaufen. Seine Augen schließen sich, und das Lächeln wird breiter. Sein Gesicht ist das eines riesigen Kindes ― ein taubes Kind, das einer inneren Musik aus den hintersten Winkeln seines Geistes lauscht. Geifer trieft in langen Fäden aus seinen Mundwinkeln und tropft auf den strohbedeckten Boden.

Während er den Geräuschen in der Wand lauscht, wächst in seiner Leiste eine gigantische Erektion. Es ist ein ehrfurchtgebietender Penis mit einer knolligen Eichel. Ein Schaft, zu kräftig, seine Finger darum zu schließen, und zu lang, um in Aktion irgendetwas anderes als schmerzhaft zu sein. Er hört Schritte und klopft dreimal drei Takte auf der Verkleidung, bevor er sich zur Vorderseite des Pferchs bewegt.

Der Puls seiner Erektion schlägt immer noch lautlos die angeschwollene Trommel, als ein Gesicht in der oberen Öffnung der Türe erscheint. Das Gesicht wird von einem krausen, schwarzen Mopp mit vereinzelten grauen Locken gekrönt. Der Bart ist beinahe noch dichter und schwärzer, allerdings frei von silbernen Strähnen. Die Augen in diesem Gesicht sind dunkelbraun. Sanfte, tiefe Augen. Das Gesicht spricht nicht. Es lächelt nicht. Am Fuß der Türe öffnet sich eine Luke und eine Aluminiumschüssel von der Größe eines Waschbeckens wird hindurchgeschoben. Die Luke schließt sich. Das Gesicht verschwindet.

Other books

Demon Lord III - Grey God by T C Southwell
Like One of the Family by Nesta Tuomey
Seriously Wicked by Connolly, Tina
Safe With Him by Tina Bass
Seasons Under Heaven by LaHaye, Beverly, Blackstock, Terri
IGO: Sudden Snow by Blue, RaeLynn
Mr. Darcy's Obsession by Reynolds, Abigail