Read Die Blechtrommel Online

Authors: Günter Grass

Tags: #Roman, #Klassiker

Die Blechtrommel (51 page)

Hatte gute Presse. Hängen jetzt bei nem Schweizer Privatsammler, Seifenfabrikant.

Bebra: Dieser Krieg, dieser schlimme Krieg! Und heut' stampfen Sie Beton! Leihen Ihr Genie für Befestigungsarbeiten aus! Freilich, das taten schon zu ihrer Zeit Leonardo und Michelangelo.

Entwarfen Säbelmaschinen und türmten Bollwerke, wenn sie keine Madonna in Auftrag hatten.

Lankes: Na sehen Se! Irgendwo gibt es immer ne Lücke. Wassen echter Künstler is, der muß sich äußern. Da, wenn sich Herr Hauptmann die Ornamente überm Bunkereingang ansehen wollen, die sind von mir.

Bebra (nach gründlichem Studium): Erstaunlich! Welch ein Formenreichtum, welch strenge Ausdruckskraft!Lankes: Strukturelle Formationen könnte man die Stilart nennen.

Bebra: Und hat Ihre Schöpfung, das Relief oder Bild einen Titel?

Lankes: Sagte doch schon: Formationen, von mir aus auch Schrägformationen. Is ne neue Stilart. Hat noch keiner gemacht.

Bebra: Dennoch, und gerade weil Sie der Kreator sind, sollten Sie dem Werk einen unverwechselbaren Titel geben ...

Lankes: Titel, was sollen Titel? Die gibt es nur, weil es Kunstkataloge für Ausstellungen gibt.

Bebra: Sie zieren sich, Lankes, Sehen Sie den Kunstfreund in mir, nicht den Hauptmann. Zigarette?

(Lankes greift zu) Also?

Lankes: Na wenn Sie mir so kommen. — Also Lankes hat sich gedacht: wenn hier mal Schluß ist. Und einmal ist hier ja Schluß --so oder so — dann bleiben die Bunker stehen, weil Bunker immer stehen bleiben, auch wenn alles andere kaputtgeht. Und dann kommt die Zeit! Die Jahrhunderte kommen, mein ich — (er steckt die letzte Zigarette weg). Wenn Herr Hauptmann vielleicht noch ne Zigarette haben? Danke gehorsamst! — Und die Jahrhunderte kommen und gehen darüber hinweg wie nix.

Aber die Bunker bleiben, wie ja auch die Pyramiden geblieben sind. Und dann, eines schönen Tages kommt ein sogenannter Altertumsforscher und denkt sich: was war das doch für ne kunstarme Zeit, damals, zwischen dem ersten und siebenten Weltkrieg: stumpfer, grauer Beton, ab und zu dilettantische, unbeholfene Kringel in Heimatstilart über den Bunkereingängen — und dann stößt er auf Dora vier, Dora fünf, sechs, Dora sieben, sieht meine strukturellen Schrägformationen, sagt sich: Guck mal einer an. Interessant. Möchte fast sagen, magisch, drohend und dennoch von eindringlicher Geistigkeit. Da hat sich ein Genie, womöglich das einzige Genie des zwanzigsten Jahrhunderts, eindeutig und für alle Zeiten ausgesprochen. — Ob das Werk auch einen Namen hat? Ob eine Signatur den Meister verrät? — Und wenn Herr Hauptmann genau hinsehen und den Kopf schräg halten, dann steht da zwischen den aufgerauhten Schrägformationen...

Bebra: Meine Brille. Helfen Sie mir Lankes.

Lankes: Na, da steht geschrieben: Herbert Lankes, anno neunzehn-hundertvierundvierzig. Titel: MYSTISCH, BARBARISCH, GELANGWEILT.

Bebra: Damit dürften Sie unserem Jahrhundert den Namen gegeben haben.

Lankes: Na, sehen Sie!

Bebra: Vielleicht wird man bei Restaurationsarbeiten nach fünfhundert oder auch tausend Jahren einige Hundeknöchelchen im Beton finden.

Lankes: Was meinen Titel nur unterstreichen kann.

Bebra (aufgewühlt): Was ist die Zeit, und was sind wir, lieber Freund wenn nicht unsere Werke...

doch schauen Sie: Felix und Kitty, meine Akrobaten. Sie turnen auf dem Beton.

Kitty (ein Papier wird schon längere Zeit zwischen Roswitha und Oskar, zwischen Felix und Kitty hin und her gereicht und beschrieben. Kitty leicht sächselnd): Sehen Se nur Herr Bebra, was man nich alles machen kann, auffem Beton. (Sie läuft auf den Händen)

Felix: Und Salto mortale hat es noch nie auf Beton gegeben. (Er macht einen Überschlag)

Kitty: Solch eine Bühne müßten wir in Wirklichkeit haben.

Felix: Nur bißchen windig isses hier oben.

Kitty: Dafür isses nich so heiß und stinkt auch nich so wie in die ollen Kinos. (Sie verknotet sich) Felix: Und ein Gedicht is uns hier oben sogar eingefallen.

Kitty: Was heißt hier uns! Oskarnello isses eingefallen und der Signora Roswitha.

Felix: Doch wennes sich nich reimen wollte, haben wir geholfen.

Kitty: Nur ein Wort fehlt noch, dann isses fertig.

Felix: Wie die Stengel am Strand da heißen, will Oskarnello wissen.

Kitty: Weil die ins Gedicht rein müssen.

Felix: Sonst fehlt was Wichtiges.

Kitty: Ach sagen Se doch, Herr Soldat. Wie heißen die Stengel denn?

Felix: Vielleicht darf er nich, wegen Feind hört mit.

Kitty: Wir erzählen es bestimmt nicht weiter.

Felix: Is ja nur, weil sonst die Kunst nich aufgeht.

Kitty: Hat sich doch so Mühe gegeben, der Oskarnello.

Felix: Und so schön schreiben kanner, mit Sütterlinbuchstaben.

Kitty: Wo er das bloß gelernt hat, möcht ich wissen.

Felix: Nur wie die Stengel heißen, weißer nich.

Lankes: Wenn Herr Hauptmann gestatten?

Bebra: Wenn es sich nicht um ein kriegsentscheidendes Geheimnis handelt?

Felix: Wenn Oskarnello es doch wissen will.

Kitty: Wenn sonst das Gedicht nich funktioniert.

Roswitha: Wenn wir doch alle so neugierig sind.

Bebra: Wenn ich Ihnen nun den dienstlichen Befehl gebe.

Lankes: — Na, das haben wir gegen eventuelle Panzer und Landungsboote gebaut. Und das nennen wir, weil es so aussieht, Rommelspargel.

Felix: Rommel...

Kitty:..spargel? Paßt das denn, Oskarnello?

Oskar: Es paßt! (Er schreibt das Wort auf das Papier, reicht das Gedicht zu Kitty auf den Bunker. Sie verknotet sich noch mehr und sagt die folgenden Verse wie ein Schulgedicht auf.)

Kitty: AM ATLANTIKWALL

Noch waffenstarrend, mit getarnten Zähnen, Beton einstampfend, Rommelspargel, schon unterwegs ins Land Pantoffel, wo jeden Sonntag Salzkartoffel und freitags Fisch, auch Spiegeleier: wir nähern uns dem Biedermeier!

Noch schlafen wir in Drahtverhauen, verbuddeln in Latrinen Minen und träumen drauf von Gartenlauben, von Kegelbrüdern, Turteltauben, vom Kühlschrank, formschön Wasserspeier:

wir nähern uns dem Biedermeier!

Muß mancher auch ins Gras noch beißen, muß manch ein Mutterherz noch reißen, trägt auch der Tod noch Fallschirmseide, knüpft er doch Rüschlein seinem Kleide, zupft Federn sich vom Pfau und Reiher: wir nähern uns dem Biedermeier!

(Alle klatschen Beifall, auch Lankes)

Lankes: Jetzt haben wir Ebbe.

Roswitha: Dann wird es Zeit, daß wir frühstücken! (Sie schwenkt den großen Proviantkorb, der mit Schleifen und Stoffblumen geschmückt ist)

Kitty: Au ja, picknicken wir im Freien!

Felix: Es ist die Natur, die unseren Appetit anregt!

Roswitha: Oh, heilige Handlung des Essens, die du die Völker verbindest, solange gefrühstückt wird!

Bebra: Tafeln wir auf dem Beton. Da haben wir eine gute Grundlage! (Alle außer Lankes klettern auf den Bunker. Roswitha breitet ein heiteres, geblümtes Tischtuch aus. Kleine Kissen mit Quasten und Fransen holt sie aus dem unerschöpflichen Korb. Ein Sonnenschirmchen, rosa mit hellgrün, wird aufgespannt, ein winziges Grammophon mit Lautsprecher aufgestellt. Tellerchen, Löffelchen, Messerchen, Eierbecher, Servietten werden verteilt.)

Felix: Ich hätte gerne etwas von der Leberpastete!

Kitty: Habt ihr noch etwas von dem Kaviar, den wir aus Stalingrad gerettet haben?

Oskar: Du solltest die dänische Butter nicht so dick auf streichen, Roswitha!

Bebra: Das ist recht, mein Sohn, daß du dich um ihre Linie sorgst.

Roswitha: Wenn es mir doch schmeckt und auch gut bekommt. Och! Wenn ich an die Torte mit Schlagsahne denke, die man uns in Kopenhagen bei der Luftwaffe servierte!

Bebra: Die holländische Schokolade in der Thermosflasche ist gut heiß geblieben.

Kitty: Ich bin einfach ganz verliebt in die amerikanischen Büchsenkekse.

Roswitha: Aber nur, wenn man etwas von der südafrikanischen Ingwermarmelade drauf tut.

Oskar: Nicht so maßlos, Roswitha, ich bitte dich!

Roswitha: Du nimmst ja auch gleich fingerdicke Scheiben von dem scheußlichen englischen Corned Beef!

Bebra: Na, Herr Soldat? Auch ein hauchdünnes Scheibchen Rosinenbrot mit Mirabellenkonfitüre?

Lankes: Wenn ich nicht im Dienst wäre, Herr Hauptmann ...

Roswitha: So erteile ihm doch den dienstlichen Befehl!

Kitty: Ja doch, dienstlichen Befehl!

Bebra: So gebe ich Ihnen also, Obergefreiter Lankes, den dienstlichen Befehl, ein Rosinenbrot mit französischer Mirabellenkonfitüre, ein weichgekochtes dänisches Ei, sowjetischen Kaviar und ein Schälchen echt holländische Schokolade zu sich zu nehmen!

Lankes: Jawoll, Herr Hauptmann! Zu mir nehmen. (Er nimmt gleichfalls auf dem Bunker Platz.) Bebra: Haben wir denn kein Kissen mehr für den Herrn Soldaten?

Oskar: Er kann meines nehmen. Ich setze mich auf die Trommel.

Roswitha: Aber daß du dich nicht erkältest, Schatz! Der Beton hat seine Tücken, und du bist es nicht gewohnt.

Kitty: Mein Kissen kann er auch haben. Ich verknot mich ein bißchen, dann rutschen die Honigbrötchen auch besser.

Felix: Bleib aber überm Tischtuch, daß du den Beton nicht mit dem Honig bekleckerst. Das ist Wehrkraftzersetzung! (Alle kichern)

Bebra: Ach, wie die Seeluft uns guttut.

Roswitha: Das tut sie. Bebra: Die Brust weitet sich.

Roswitha: Das tut sie.

Bebra: Das Herz häutet sich.

Roswitha: Das tut das Herz.

Bebra: Die Seele entpuppt sich.

Roswitha: Wie schön man wird, wenn das Meer zuschaut!

Bebra: Der Blick wird frei, flügge ...

Roswitha: Er flügelt. ., Bebra: Flattert davon, übers Meer, unendliche Meer... Sagen Sie mal, Obergefreiter Lankes, ich seh da fünfmal was Schwarzes am Strand.

Kitty: Ich auch. Mit fünf Regenschirme!

Felix: Sechs.Kitty: Fünf! eins, zwei, drei, vier, fünf!

Lankes: Das sind die Nonnen von Lisieux. Die haben sie mit ihrem Kindergarten von dort nach hierher evakuiert.

Kitty: Aber Kinderchen sieht Kitty keine! Nur fünf Regenschirme.

Lankes: Die Gören lassen sie immer im Dorf, in Bavent, und kommen bei Ebbe manchmal und sammeln Muscheln und Krabben, die im Rommelspargel hängengeblieben sind.

Kitty: Die Ärmsten!

Roswitha: Ob wir ihnen etwas Corned Beef und paar Büchsenkekse anbieten.

Oskar: Oskar schlägt Rosinenbrötchen mit Mirabellenkonfitüre vor, weil heute Freitag ist und Corned Beef für Nonnen verboten.

Kitty: Jetzt laufen sie! Segeln richtig mit ihre Regenschirme!

Lankes: Das machen sie immer, wenn sie genug gesammelt haben. Dann fangen sie an zu spielen. Vor allem die Novize, die Agneta, ein ganz junges Ding, das noch nicht weiß, wo vorne und hinten ist — doch wenn Herr Hauptmann noch ne Zigarette fürn Obergefreiten haben? Danke bestens! — Und die da hinten, die Dicke, die nicht nachkommt, das ist die Schwester Oberin, die Scholastika. Die will nicht, daß am Strand gespielt wird, weil das womöglich gegen die Ordensregeln verstößt.

(Nonnen mit Regenschirmen laufen im Hintergrund. Roswitha stellt das Grammophon ein: es erklingt die Petersburger Schlittenfahrt. Die Nonnen tanzen dazu und jauchzen)

Agneta: Huhu! Schwester Scholastika!

Scholastika: Agneta, Schwester Agneta!

Agneta: Jaha, Schwester Scholastika!

Scholastika: Kehren Sie um, mein Kind! Schwester Agneta!

Agneta: Ich kann ja nicht! Das läuft von alleine!

Scholastika: Dann beten Sie, Schwester, für eine Umkehr!

Agneta: Für eine schmerzensreiche?

Scholastika: Für eine gnadenreiche!

Agneta: Für eine freudenreiche?

Scholastika: Beten Sie, Schwester Agneta!

Agneta: Ich bete ja, immerzuhu. Aber es läuft immer weiter!

Scholastika (leiser): Agneta, Schwester Agneta!

Agneta: Huhu! Schwester Scholastika!

(Die Nonnen verschwinden. Nur dann und wann tauchen im Hintergrund ihre Regenschirme auf. Die Schallplatte läuft ab. Neben dem Bunkereingang klingelt das Feldtelefon. ankes springt vom Bunkerdach, nimmt den Hörer ab, die anderen essen)

Roswitha: Daß es selbst hier, inmitten unendlicher Natur, ein Telefon geben muß!

Lankes: Hier Dora sieben. Obergefreiter Lankes.

Herzog (Mit Telefonhörer und Kabel kommt er langsam von rechts, bleibt oft stehen und spricht in sein Telefon hinein): Schlafen Sie, Obergefreiter Lankes! Da ist doch Bewegung vor Dora sieben. Ganz deutlich auszumachen!

Lankes: Das sind die Nonnen, Herr Oberleutnant.

Herzog: Was heißt hier Nonnen. Und wenn es nun keine Nonnen sind?

Lankes: Sind aber welche. Ganz deutlich auszumachen.

Herzog: Wohl noch nie was von Tarnung gehört, was? Fünfte Kolonne, was? Machen die Engländer schon seit Jahrhunderten. Kommen mit der Bibel und dann knallt es auf einmal!

Lankes: Die sammeln Krabben, Herr Oberleutnant...

Herzog: Sofort wird der Strand geräumt, verstanden!

Lankes: Jawoll, Herr Oberleutnant. Aber die sammeln doch bloß Krabben.

Herzog: Sie sollen sich hinter Ihr MG klemmen, Obergefreiter Lankes!

Lankes: Aber wenn die doch nur Krabben suchen, weil Ebbe is und weil die für ihren Kindergarten ...

Herzog: Ich gebe Ihnen den dienstlichen Befehl...

Lankes: Jawoll, Herr Oberleutnant! (Lankes verschwindet im Bunker. Herzog geht mit dem Telefon nach rechts ab.)

Oskar: Roswitha, halte dir bitte beide Ohren zu, jetzt wird geschossen, wie in der Wochenschau.

Kitty: Oh, schrecklich! Ich verknot mich noch mehr.

Bebra: Fast glaube auch ich, daß wir etwas zu hören bekommen.

Felix: Wir sollten das Grammophon wieder anstellen. Das mildert manches! (Er stellt das Grammophon an: »The Platters« singen »The Great Pretender«. Der langsamen, tragisch schleppenden Musik angepaßt, knattert das Maschinengewehr. Roswitha hält sich • die Ohren zu. Felix macht einen Kopfstand. Im Hintergrund fliegen fünf Nonnen mit Regenschirmen gen Himmel. Die Schallplatte stockt, wiederholt sich, dann Ruhe. Felix beendet den Handstand. Kitty entknotet sich. Roswitha räumt das Tischtuch mit den Frühstücksresten hastig in den Proviantkorb. Oskar und Bebra helfen - ihr. Man verläßt das Bunkerdach. Lankes erscheint im Bunkereingangs Lankes: Wenn Herr Hauptmann vielleicht noch ne Zigarette für'n Obergefreiten haben.

Bebra (seine Leute ängstlich hinter ihm): Der Herr Soldat raucht zuviel.

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