Ashes for Breakfast (9 page)

Read Ashes for Breakfast Online

Authors: Durs Grünbein

Wirst du völlig erledigt sein, rufen

     Die Jahre dem Staunenden zu.

Denn ganz ohne Prämien nimmt Leben

     Geschickt seinen Lauf. Aufzustehn

Morgens auf falschem Fuß, hochrot

     Mit den Hormonen im Fluß,

Ein anatomischer Torso vorm Spiegel,

     Die Arme im Anschlag, Augen

Weitaufgerissen … um
was
zu sehn?

 

 

Keiner, der nicht hofft … Und los geht's

     Hinein in den Abend, der bald

Vor dem Andrang zurückweicht, Straßen

     Auf Durchgang gestellt. Paradox

Das Gefühl, daß nichts fehlt, ohne dich.

     Wie jemand, weit abgeschlagen,

Zu spät bemerkt, daß alles ihm fremd ist,

     Schließt du dich schließlich

Dem murmelnden Draußen, dem Fließband,

     Der geräuschvollen Mehrheit an.

Während oben, im Regen, ein Rotlicht,

     Irgendein wippendes Frauenbein

Nach einer langen Nacht jäh verlischt.

 

 

Unwirklich das Zimmer, allein bewohnt.

     Im Spiegel Insektendreck, Staub

In den Ecken, gesammelt um Frauenhaar,

     Das schon Wochen dort liegt.

Keine Früchteschale, keine Vase in Sicht,

     Die einzigen Füllhörner, dicht

Gerückt, Bücher. Was von Stilleben blieb,

     Von den kleinen Tropismen sind

Ganz banale Rätsel wie eine blaue … 13 … —

     Aufs Handgelenk tätowiert,

Wunden, aufgesprungen, ein Muttermal.

     Lächelnd und kaum entsetzt

Suchst du in alphabetischen Gebeten Halt.

 

 

Nachgiebig weich wie in den Kniekehlen

     Fleisch — der begehrliche Traum

Wie er dem einzelnen zustößt, im Bett

     Oder offenen Auges beim Gehn:

Etwas blitzt auf, macht sich rar, intrigiert,

     Austernhaft kühl und feucht,

Um eine Falte, ein Büschel Flimmerhaar.

     War es ein Gaumen, der Spalt

Eines Augenlids, wie in der Infrarotsicht

     Wärme der Haut als Indiz für

Versteckte Leichen. Ein Hüftschwung reicht

     Und von neuem beginnt was

So hinfällig endet, so wehrlos und weich.

 

 

Und dann die Umgebung, die Verstecke

     Diskreter Leben, so einzeln,

Von Mängeln getrieben, gewinnverliebt

     Daß man vergißt wie man herkam

In diese Häuser mit Tarnanstrich, Zeuge

     Uralten und jüngsten Handels

Entlang der Ausfallstraßen aufs Land.

     Besser den Körpern zu folgen

In ihrer Brownschen Bewegung, höflich

     Phönizischen Regeln gehorchend

Statt den verbotnen Gerüchen, obszönen

     Flüchen und diesem Singsang

Auf ein paar Wellenlängen seit Orpheus.

 

 

Skeptisch, belesen, gereizt … ganz im Stil

     Der Annoncen, unendlich fern

Jeder Landschaft, mit wenigen Strichen

     Gezeichnet, der Zeitungsmensch

Mit dem Innern im Zwielicht, warst du.

     O diese Zartheit der Lungen …

Das Xylophon aus verborgenen Knochen

     Vom Schädel zum Kleinen Zeh.

Und daß die Körper schwer finden, was

     Ihr Begehren sucht, daß Gewalt

Sie in Schlingen zwingt, bis sie hastig,

     Aufgezehrt vom Geschwätz,

Zum Ausgang drängeln, — wohin damit?

 

 

Unsichtbar sein, sich geräuschlos im Raum

     Bewegend, ein Körper aus Luft,

Klinken drückend, wie animiert, Treppen

     Herauf- und heruntergleitend,

Wie an Spinnweb-Flaschenzügen sich leicht

     Durch Fenster hangelnd, ein Ariel

Ohne Auftrag und unter niemands Vaterblick,

     Im Dunkel der Kinos zu Hause,

In Bankkeller, Schiffskabine und Luxussuite,

     Ein blinder Passagier, wunschlos

Hinter gebauschtem Vorhang, vom Licht

     Unbehelligt, vom Wer-ist-Wer:

In einer Welt voller Totschlag — schnell weg.

 

 

Achtlos, wie alles anfängt, noch schläfrig

     Im Gähnen blutend, siehst du

Dein Kinn im Spiegel zerschnitten, die Haut

     Unterm Schwedenstahl frösteln,

Die Augen im Morgenlicht glasig, ein Tier

     Das den aufrechten Gang übt,

Den Gebrauch von Werkzeug. Wie Läuse,

     Im Waschbecken wimmelnd,

Die Stoppeln Barthaar, — mit jeder Rasur

     Kehrt das Feilschen wieder, sucht

Deine Angst den Balanceakt: ein erstes

     Plädoyer für das Unschuldsherz,

Lang vor dem Adernöffnen die Amnestie.

 

 

Kurz vor Karfreitag packt dich der Schlaf

     Wie bei jedem Fest. Nichts

Stört den Ablauf der Tage. Blasphemisch

     Hörst du die Preßluft entweichen —

Irgendein Graben entsteht, ein Kaufhaus

     Lädt pünktlich zur Auferstehung

Mit neuen Preisen ein. Fast erleichtert

     Beschreibt ein Gerichtsbericht

Den Weinkrampf des Mörders, seinen Fleiß

     All die Jahre davor. Ostern

Bringt den Familien Arrest ein. Die Kinder

     Denken an Weihnachten. Bald

Gibt es Neujahrswünsche und Sekt um Zwölf.

 

 

Was für ein blutiger Knirps du mal warst,

     Ein runzliger Kobold, verknotet

Die Arme, die Beine. Mit bläulicher Haut

     Wie um dein Leben strampelnd,

Früh um dein künftiges Sterben bemüht.

     Und alles fing so untröstlich an

Mit einem gellenden Schrei, als die Welt

     In die Lungen zog, rasselnd.

Mit einem Schock (›Soviel Licht!‹), einem Schnitt

     Flinker Scheren und Messer

In das einzige Fleisch, das nicht du warst.

     Der Nabel erinnert den Faden,

Die Zerreißlust der Parzen von Anfang an.

 

 

Peinlich, — schon auf den frühesten Photos

     Dasselbe Lächeln voll Zutraun

Zum Objektiv, das die Strahlen bündelt

     In ein Nostalgia, geöffnet

Für Millisekunden, der Körper verführt

     Vom Versprechen der Wiederkehr

Der vertrauten Dinge. Und später ist Zeit

     Mit den Händen zu greifen,

Ein Schwinden, bestürzend, auf Zelluloid.

     Wie dein Lächeln sich auflöst

Beim Betrachten nach Jahren. Befangen

     Vom Unbekannten, fixiert auf

Längst Fernes, weist dein Blick dich zurück.

 

 

Mannsdicke Rohre, in die du als Kind dich

     Im Versteckspiel verkrochst

Waren im nächsten Traum riesige Tunnel,

     Bunker und Tropfsteinhöhlen,

In denen du Urmensch warst oder Soldat …

     Doch vor allem erwachsen, voraus

Diesen schmächtigen Fesseln, der Ohnmacht

     Von Geschlecht und Statur. Flach

Auf den Wiesen warst du, von frischer Erde

     Betäubt, in den Mulden aus Gras

Dir selbst so nah wie die Birnen dem Stamm.

     Bis es galt, im Trikot zu gehn,

Freihändig pissend, die Schultern wattiert.

 

 

Denn was heißt schon Kindheit, nach Jahren

     Der Flucht, ein erpreßter Wunsch,

Sprungbereit auf den Lippen, ein Kehrreim

     Wie Heimat und Komm-nach-Haus.

Über die Schultern gespuckt, war das fatale

     Zurücksehn ein schlechter Tausch

Für das Kürzerwerden von Tag und Nacht.

     Verwaschen die Farben, die rosa

Idyllen aus Lammfell. Das war's: der Geruch

     Erbrochener Milch, das Komplott

Großer Körper, die dich fütternd erdrückten,

     Ganze Wolken von Hysterie,

In denen man laufen lernte und sich zu wehrn.

 

 

Seltsam, woran sich das Auge gewöhnt.

     Der geschlossene Horizont

Rings, und wo Fleisch war, das Dunkel

     Im Röntgenbild, helle Flocken

Für Mark und Bein. Noch beim Liebesakt

     Tropft das Rosa aus, rangeln

Die Körper in Einzelgliedern, tranchiert.

     Und der Blick ist schon kalt

Bevor das Leben erkaltet. Die seltne Lust

     Sich betastet zu fühlen, wach

Unterm Messer zu liegen, wird glitzernd

     Von Tropfen quittiert, Tränen

In denen die Freude sich sammelt als Rest.

 

 

Wie viele Gesten sind sinnlos, und dennoch

     Hält ein Staunen sie wach. Wütend

Einer Fliege zu drohen, in steifer Andacht

     Vor den Toten den Kopf zu senken,

Mit Grüßen und Winks sich die Einzelhaft

     Zu versüßen, kann amüsant

Oder anständig sein. Vor der Trägheit

     Der Wolken wird alles absurd.

Niemand sieht diesen Clown sich betrügen.

     Den Zeugen, kurz eingenickt,

Ist der Lidschlag entgangen, der Hinweis

     Gespreizter Finger, wenn List

Im Verkehr der Indizien die Zunge löst.

 

 

Was für ein Händepaar, was für ein Blatt

     Noten, ein verstimmtes Klavier,

Spielt da zusammen und du hörst nur dies:

     Üble Etüden im Vorraum

Zu einer der Ängste, einer der Kammern,

     Verboten, wie Uhrkästen eng.

Auf geschlossenen Deckeln die Schlüssel

     Für Überdruß, für den Rumor

In Bauchhöhlen … Was für ein Taktzähler,

     Was für Gesang? Feiner Sand

Rinnt aus den Rasseln, den Fetischmasken

     Auf staubige Tasten. Hörst du

In welcher Enge du atmest, dich regst?

 

 

Daß es die Dinge sind, die dich verhöhnt,

     Schwindend im Tageslicht,

Dir selbst überlassen, daß Zeit sich zuerst

     An Lebendiges hält, Lächeln

Noch unwägbar, Nacken und feines Haar:

     Seit wann siehst du, wie weit

Dieses Einstweilen reicht, was den Möbeln

     Die Wette gilt? Aus der Sicht

Eines Stuhlbeins ist jeder Tisch ein Sarg,

     Unverrückbar im Schattenreich

Hinterbliebener Mieter, in dem Bewohner

     Längst Tote sind, auf Besuch.

Wie die Vase sich ausschweigt, die Klinke.

 

 

Unmöglich zu fliegen — mit dieser Brust,

     Flach wie bei Emu und Strauß.

Zu sperrig die Rippen und ohne Schwung

     Die Gelenke, nicht leicht genug.

Stehst du am Fenster, Arme verschränkt,

     Den Möwen im Sturzflug folgend,

Ist es wie Zahnschmerz, und jeder Bogen,

     Jedes Und, jede Rundung läßt dich

Am Boden zurück, Exemplar einer Tierart

     Vom Rückfall bedroht, Invalid

Mit gestrecktem Hals. Nur ein Pinguin

     Hält es aus im Stehn, am Rand,

Unter Flügelzucken und schwerem Traum.

 

 

Und was ist es sonst, als Magie, dieser Riß

     Zwischen Namen und Dingen,

Als einziges Echolot ins Verbotne: Tabus?

     Wie eine Hand, abgetrennt,

Unterm Tisch liegt ein ledriges Kaktusblatt,

     Kahl auf dem Teller die Gräte,

Einer Haarspange ähnlich in kaltem Fett.

     Daß man die Toten herausputzt,

Erzählt auf dem Bügel die Hose, das Hemd

     Über den Stuhl gelegt, nachts.

Ein Eimer vergrößert den Raum, eine Lupe

     Die feinen Risse im Schädeldach.

… Bilder wie Grabbeigaben an jeder Wand.

 

 

Grundlos, wie Leben entsteht, ist es bereit

     Zu vergehn in den Kehlen,

Durch die Finger zu rinnen, die Wand hinab.

     Was sich nie ausging, war Angst.

In jeder Kneipe zu haben, am rechten Fleck

     War es der Dampf an der Theke,

Der Geruch von geschlachteten Hühnern

     Aus Küchen, das ranzige Öl,

Das Zerkochen von Meeresfrüchten zu Müll.

     Schaudernd siehst du den Krebs

Mit verbundenen Scheren, Forelle und Aal

     Unterm Schlammbauch des Karpfen.

Im Kofferraum schreit eine Katze nach Luft.

 

 

Und oft wird auf halbem Wege der Tod

     Unterbrochen, bevor er selbst

Unterbricht, — eine Stockung im Kreislauf,

     Aufschwünge, Stürze, Bedauern

Wegen so vieler Enden, so vieler Beginne

     Wie es Reflexe gibt, Wechsel

Der Ansichten zwischen Amöbe und Stern.

     Das Einzeln-, das Irre-

Das Spaltungsirresein täuscht sich gewitzt

     Vor zerbrochenen Spiegeln

In der Pose Vergeßlichkeit: jede Lücke

     Ein verlorenes Fundstück,

Die Mühe, es wiederzufinden, ein Psalm.

 

 

Um von vorn zu beginnen, — der Anfang

     Liegt in den Tagen danach,

In den Zweifeln der Frau, wem die Wucht

     Dieses Andrangs galt. Möglich,

Daß ihre Echos ihr fremd sind am Morgen,

     Das Neue, zu früh in Sicht,

Sie erpreßt und zur Umkehr zwingt, Panik,

Other books

Switched: Brides of the Kindred 17 by Evangeline Anderson
The Dirt Diary by Staniszewski, Anna
Only the Truth by Pat Brown
A grave denied by Dana Stabenow
Maledicte by Lane Robins